Loewenmutter
Sessel, sogar Kaffee und Saft gab es zu trinken, trotzdem roch es anonym. Die Mädchen an der Rezeption schauten uns fragend an, vier Personen kamen selten zu einem einzigen Termin, dann boten sie uns Wasser an.
Mit den Pappbechern in der Hand nahmen wir in einem großen Wartezimmer Platz. Keine der Patientinnen, die dort saßen, blickte aus ihrer Zeitschrift auf. Ich beobachtete eine Neonröhre an der Decke oben, die kurz vor ihrem Ende vor sich hin glimmte. Wir warteten schweigend. Irgendwann klopften sich die Männer Zigaretten aus den Packungen und gingen vors Haus.
In der Zwischenzeit wurde ich aufgerufen. Mir war schlecht vor Angst, ich hatte ganz feuchte Hände, die ich zusammenpresste, als würde ich mich selbst an der Hand nehmen. Man kann sich das nicht vorstellen, wie es ist, wenn man kein einziges Wort versteht, keine einzelne Zeile lesen kann, wenn man taub und stumm gleichzeitig ist. Weder das Wort »Wartezimmer«, noch »Behandlungsraum«, noch »Labor« konnte ich entziffern, keinen Namen auf den Schildchen lesen, die die Mädchen an ihren weißen Kitteln stecken hatten. Mein Gesicht brannte, doch die Frau des Freundes hakte mich unter und begleitete mich ins Labor. Sie übersetzte, was die Arzthelferin sagte: auf die Waage stellen, Blutdruck messen, Blut abnehmen lassen, den Urin abgeben zur Untersuchung.
Keine Ahnung, was diese Untersuchungen zu bedeuten hatten und wozu sie dienten. Aber alle waren freundlich zu mir und verständnisvoll. Sprachlose Ausländerinnen waren ihnen schon öfters begegnet. Keiner machte sich lustig, weil »ich Ausländer, ich nix verstehen«. Und wenn, dann wäre es mir wahrscheinlich gar nicht aufgefallen, so aufgeregt wie ich war. Als ich mit meinem Pappbecher voll mit Urin aus der Toilette kam und nicht wusste, wohin damit, kam ich mir trotzdem ziemlich blöd vor.
Ich fühlte mich fehl am Platz, aber gleichzeitig war ich neugierig, was hier mit mir passierten sollte. Es blieb mir gar nichts anderes übrig, als alles mit mir geschehen zu lassen. Die Freundin führte mich bis zur Tür einer Kabine, sagte, dass ich mich bis aufs Unterhemd ausziehen solle, und verschwand. Ich tat wie geheißen, und nach kurzer Zeit rief mich eine Ärztin in ihr Sprechzimmer. Sie zeigte mit ihrer Hand auf eine Art Liegestuhl und deutete mir an, dass sie mich nun untersuchen wolle. Ich genierte mich, wie ich so halb nackt im Hemdchen vor der bekleideten Frau stand. Trotzdem legte ich mich gehorsam auf den Stuhl. Während die Ärztin meinen Bauch von außen abtastete, redete sie ununterbrochen. Dann vaginal – ich war wie gelähmt vor Angst, aber versuchte trotzdem zu lächeln. Dann mit dem Ultraschallgerät – als sie merkte, dass ich zitterte, nahm sie meine Hand in ihre, führte mich und ließ mich mit dem Apparat selbst meinen Bauch beschallen. Wie eine Blinde.
Sie konnte nicht wissen, wie gut mir das tat, oder doch? Es dauerte nicht lange, und ich durfte mich wieder anziehen. Inzwischen hatte die Ärztin meinen Mann rufen lassen. In einer Wolke von Nikotin kam er ins Untersuchungszimmer hereingeweht, setzte sich und begann, mit der Ärztin zu sprechen. Ich verstand nichts, aber mir war schlecht. Ich setzte mich neben ihn auf einen Stuhl, drückte meinen Rücken gegen die Lehne und schaute zu Boden. Rosa Linoleum mit hellgelben Einsprengseln. Ohne mir etwas zu erklären oder auf mich zu warten, verließ mein Mann schließlich den Raum.
Ich stand auf, holte mein Tuch aus der Kabine, band mir die Schuhe, dann gab ich der Ärztin die Hand und sagte »Danke« und »Auf Wiedersehen«. Auf dem Flur sah ich Abdullah am Tresen stehen und mit der Arzthelferin einen neuen Termin vereinbaren. Er nahm keine Notiz von mir. Dafür kam die Frau seines Freundes auf mich zugestürmt, breitete ihre Arme aus, drückte mich an sich und küsste mich: »Du bist schwanger. Herzlichen Glückwunsch!« – »Nein«, entfuhr es mir, während ich mich ihr umständlich entwand, es war mir peinlich: »Das kann nicht sein, oder? Sag das noch einmal, bitte.« – »Doch, es ist alles in Ordnung, mach dir keine Sorgen. In ungefähr sieben Monaten werdet ihr ein hübsches Baby haben.« Es war wie ein Überfall, ich wusste nicht wohin mit mir, hilfesuchend schaute ich mich nach meinem Mann um. Stimmte das wirklich? Warum hatte er es mir nicht gleich im Behandlungszimmer erzählt?
Abdullah scherzte mit der Arzthelferin und schien in bester Laune. »On y va«, sagte er weltmännisch und schlenkerte sein Täschchen am
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