Loewenmutter
Kleid anziehen. Nicht, dass es mir nicht gefallen hätte, ich hatte es sogar selbst ausgesucht. Aber hier in Deutschland? Nein, hier wollte ich es eigentlich nicht anziehen. Keiner lief so herum, niemand ging damit auf die Straße. Ich bin jung, modern, schön und nicht zum Verstecken. Was sollen denn die Leute von mir denken? Dass ich aus dem hintersten Winkel des Orients komme?
Das Kopftuch binde ich gerne um – wenn ich will. Als gläubige Muslimin. Aber jetzt will ich gehen wie alle anderen Frauen in Tunesiens Großstädten und wie die Deutschen, die ich vom Fenster aus beobachte. Ich will sein wie alle. In Jeans und T-Shirt und hochhackigen Schuhen. Was soll ich in diesem weiten Kleid?
Doch Abdullah bestand darauf. »Ich will stolz auf dich sein!« Angeben wollte er mit mir, nichts weiter: »Schaut mal, ich habe eine Frau mitgebracht, etwas ganz Schönes, etwas Originales. Da guckt ihr, was? Das Püppchen gehört mir, mir allein. Hättet ihr das eurem alten Abdullah zugetraut?«
Ich hasste diese Besuche, zu denen ich mich ausstaffieren sollte wie diese Puppen in Landestracht, die gerne von Touristen gekauft wurden. Für wildfremde Menschen, die ich nicht kannte, sollte ich mich schön machen. Dabei ging es mir nicht gut, ich erlebte die schlimmste Zeit meines Lebens und wollte nur noch meine Ruhe haben. Am liebsten hätte ich mich eingegraben und wäre erst wieder herausgekommen, wenn der ganze Ehespuk vorbei gewesen wäre. »Du musst aber«, sagte Abdullah, wie er von Anfang an immer wieder sagte: »Ob es dir passt oder nicht. Du musst.«
Es war in dieser Zeit, als ich anfing zu schauspielern. Ich spielte die gutgelaunte Esma mit ihren lustigen Geschichten und machte Witze, obwohl ich die elendsten Gedanken hatte. Laut schallend lachte ich oder tief glucksend. Spielte das freche Kind und den Clown, über den man sich amüsiert, auch wenn innerlich meine Tränen wie ein Rinnsal liefen, das nicht mehr abzustellen war. Ich kann gut lachen, und ich kann gut schauspielern, ich kann gut singen, und ich kann gut tanzen. Trotz oder wegen meines ganzen Kummers. Es ist gut so. Denn wenn ich das nicht könnte, ich weiß nicht, was aus mir geworden wäre.
Die Besuche verliefen immer gleich. Die Männer saßen im Wohnzimmer, redeten, tranken, aßen, sahen fern. Während ich mit den Frauen in der Küche kochen und essen und ein wenig von der Hochzeit erzählen durfte. »Hat dein Mann viel Geld ausgegeben und dir eine schöne Hochzeit ausgerichtet.« – »Jahaaaa.« – »Wie lange habt ihr gefeiert?« – »Eine Woche.« – »Warst du mit den Frauen im Hamam?« – »Sie haben mich gewaschen und gecremt und mit Parfum eingesprüht.« – »Wie war’s?« – »Schön, das war schon schön. Auch die Henna-Nächte.« – »Haben sie dich bemalt?« – »Ja, ich sah aus wie eine orientalische Prinzessin, mit weißem Kleid und Schleier.« – »Und wie fühlst du dich so jung verheiratet?« – »Weiß noch nicht, mal sehen.« – »Du kannst zufrieden sein, du hast einen guten Mann abbekommen.« – »Ich kenne keinen anderen.«
Was sie bloß alle an Abdullah fanden? Obwohl, zugegeben, nach außen hin war er höflich, die Liebenswürdigkeit in Person. Wenn ich ihn so kennengelernt hätte, hätte ich ihn auch nett gefunden. Aber so wie andere ihn erlebten, war er nicht, nicht zu mir. Über diese andere Seite konnte ich jedoch nicht reden, sie ging keinen etwas an. Ich schämte mich. Sollte ich den Frauen meine blauen Flecke zeigen? Meine weiten Ärmel zurückschieben und meine Oberarme bloßlegen? Was würden sie denken von mir? Womöglich, dass ich die Schläge verdient habe? Das würde mir noch mehr wehtun. Deshalb schwieg ich lieber: Bloß nicht erzählen, wie ich von meinem Mann behandelt wurde und wie dreckig ich mich fühlte. Vor lauter Selbstmitleid kam ich lange nicht auf den Gedanken, dass auch viele andere Frauen aus Scham darüber schweigen, was hinter verschlossenen Türen passiert.
Wie es mir in Deutschland gefiele, wollten Abdullahs Freunde wissen. Was sollte ich darauf antworten? Dass ich meine Tage trübsinnig im Bett, vor dem Fernseher, vor dem Spiegel und vor dem Fenster verbringe und deshalb nur das Stück Straße vor unserem Haus kenne? Das Fenster war der Rahmen, in den meine Hamburger Welt passte. Nein, ich legte mir eine andere Antwort zurecht: »Viel habe ich noch nicht gesehen, aber was ich gesehen habe, gefällt mir gut. Die Vermieterin ist lieb, die Straße vor dem Haus sauber.« Das reichte
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