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Loewenmutter

Loewenmutter

Titel: Loewenmutter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Esma Abdelhamid
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Hielt mich am hellblau gestrichenen Geländer fest. Orientalische Musik dudelte mir aus Lautsprechern entgegen. Alles verglast, ich sah durch die Fensterscheiben der Wartehalle wie aus einem Aquarium hinaus aufs Meer. Setzte mich auf einen knallroten Plastiksessel zwischen zwei Säulen. Sah Rauch aus rot-weiß gestreiften Fabrikschloten in der Ferne aufsteigen, das Wasser war grünviolett, Himmel und Wolken hatten einen Gelbstich wie ein altes Gemälde. Hier konnte ich nicht bleiben.
    Du hast nichts mehr, alles verloren, von dem du je geträumt hast. Hast keinen Mann, keine Kinder, keine Papiere und keine Illusionen auf ein besseres Leben mehr, dröhnte es in meinem Kopf. Und vor allem hatte ich kein Taschentuch, um die Tränen wegzuwischen. Ich war verzweifelt, schwitzte und weinte, alles auf einmal. Durstig war ich, hatte aber nichts zu trinken, und so lief ich los, als würde ich um mein Leben laufen.
    Es dauerte lange, bis ich ein Taxi fand. Dem erstbesten, das ich von weitem sah, winkte ich. »Ich will nach Hause. Können Sie mich zum Busbahnhof fahren?« Der Fahrer merkte sofort, dass ich am Ende war. »Immer mit der Ruhe«, sagte er, »steig ein.« Er sah mich mitleidig an und reichte mir eine Packung Taschentücher. »Was ist denn passiert? Wo ist denn dein Zuhause?« Wie ein Vater sprach er mit mir. Das tat gut, ich schnäuzte mich, und verschränkte die Arme vor meinem Körper wie ein Schutzschild, umklammerte mit beiden Händen meine Oberarme. Als ob ich mir selbst Halt geben wollte.
    Als wir am Flughafen vorbeifuhren und ich die abfliegenden Flugzeuge sah, brach ich erneut in Tränen aus. Ein Heulkrampf schüttelte mich, so schlimm, dass ich nicht mehr aufhören konnte. All der Schmerz, den ich vor meinen Kindern und meinem Mann zurückgehalten hatte, brach nun aus mir heraus. Dem Taxifahrer tat ich leid. »Wie kann ich dir bloß helfen?«, fragte er hilflos. »Komm mit zu uns, zu meiner Frau und meinen Kindern, ich nehme dich mit, dort kannst du dich ausruhen. Meine Frau kocht für dich, du wirst essen und schlafen und morgen weiterfahren.«
    Ich schüttelte den Kopf. Das war gut gemeint, aber ich wollte nicht. Keinen Trost. »Bitte zum Bahnhof«, bat ich schluchzend und weinte, weinte, weinte. Selbst schuld, hämmerte es in meinem Kopf: Daran, dass meine Welt zusammengebrochen war und dass da oben am Himmel ein Flugzeug mit meinen Söhnen auf dem Weg nach Deutschland unterwegs war. Ganz allein meine Schuld.
    Auf dem Busbahnhof herrschte ein riesiges Chaos. Reisende aus allen Ecken des Landes mit Taschen, Kindern und Tieren trafen sich hier zwischen Bussen mit verwirrenden Aufschriften. Ein Lärm, nicht auszuhalten. Gegacker hier und Geplärr dort. So verheult, wie ich war, fiel ich wenigstens nicht auf. Meine verquollenen Augen, meine rote Nase, mein schweißnasses Haar, das in Strähnen unter dem Kopftuch hervorhing. Der Taxifahrer stieg aus, um sich zu erkundigen, mit welchem Bus ich fahren konnte. Ich blieb auf dem Beifahrersitz sitzen. Mit einer Packung Kekse und Wasser kam er zurück. Ich trank, essen konnte ich nicht. Als ich ihm die Fahrt bezahlen wollte, sagte er: »Kostet nichts, mein Zähler spinnt.« In meiner Hand hielt ich immer noch fest umschlossen die paar Münzen, die mir Abdullah gegeben hatte. Die streckte ich ihm nun hin und bat ihn, sich ein Geldstück herauszunehmen. Er nahm nicht viel, sagte: »Pass gut auf dich auf, Gott sei mit dir«, und dann stieg ich aus.
    Von Neuem stürzten mir die Tränen aus den Augen. Ich setzte mich auf die Straße neben dem Taxistand wie eine Beduinin vor ihr Zelt und legte meine Arme mit den Handflächen nach oben auf die Oberschenkel. Schmutzig grau waren die Hände, ich fuhr mir übers nasse Gesicht, auf dem die Tränen schwarze Schlieren bildeten. Strich unter den Augen entlang, starrte auf den dreckigen Asphalt: Kein Mensch wird mich vermissen, wenn ich jetzt verschwinden würde. Überrollt von einem Bus, verscharrt wie ein streunender Hund. Versunken in dem schwarzen Loch, das sich vor mir auftut. Eine schrille Hupe weckte mich. Ich sprang auf und schüttelte mich. Amal fiel mir ein. Meine Süße. Sie würde mich vermissen. Ganz sicher. Würde im ganzen Haus nach mir rufen und untröstlich weinen. Wie heute Morgen, als ich wegfuhr.

    Alle haben geschlafen, alles war dunkel im Haus, als ich ankam. Ich legte mich sofort ins Kinderzimmer zu Amal und vergrub mich in der Bettdecke, die mir viel zu heiß war. Wie gut meine Tochter roch. Ich kuschelte

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