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Loewenmutter

Loewenmutter

Titel: Loewenmutter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Esma Abdelhamid
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packte mich am Arm und wollte sofort wissen, was war. »Die Kinder schlafen, es geht ihnen gut«, antwortete ich einsilbig. »Und?« – »Abdullah war nicht da, aber eine Frau war am Telefon, die hat’s mir gesagt.« – »Was für eine Frau?« – »Ich kenne sie nur flüchtig. Sie war ein paar Mal bei uns, weil sie Hilfe brauchte.« – »Ist doch gut, dass jemand für die Kinder da ist. Abdullah wird sie engagiert haben, damit sie sich kümmert, wenn er bei der Arbeit ist.« – »Ja, wahrscheinlich.« In dieser Nacht legte ich mich nicht zu Amal auf die Matratze, sondern schloss mich stundenlang auf der Toilette ein, dem einzigen Raum im Haus, der abzuschließen war, und kauerte auf dem kalten Fliesenboden. Was war mit meinen Söhnen?
    Am nächsten Morgen ging ich wieder zur Post. Wenn mein Mann auf Spätschicht war, musste er doch vormittags zu Hause sein. Müsste er eigentlich, dachte ich, war er aber nicht. Wieder ließ ich es bis zum Besetztzeichen klingeln, wieder nahm keiner ab. Und wie immer juckte meine Haut, weil ich mich so wahnsinnig aufregte. Ich kratzte mich blutig, zuerst am Ohr, dann die Arme. Hatte da jemand den Telefonstecker herausgezogen? Die wollten ihre Ruhe haben. Aber warum?
    Ein paar Tage lang wieder nichts. Kein Telefon, keine Post, das machte mich krank. Ich weiß nicht, wie ich es überlebte. Nur noch im Tran. Bis eines Abends das Nachbarskind völlig außer Atem an unserem Hoftor klopfte: »Esma, Esma, schnell, ein Anruf für dich, aus Deutschland.« – »Ich komme.« – »Mama sagt, er ruft gleich noch einmal an, in fünf Minuten.« Ich renne los, ohne Schuhe und ohne Kopftuch. Von der Gartentür des Nachbarhauses aus höre ich schon das Klingeln, ich stürme die Stufen hoch in den Flur. Ich weiß sofort, dass Abdullah dran ist.
    Er legt auch sofort los, ohne eine Begrüßung, ohne ein »Wie geht’s?«. Sagt nur: »Was soll das? Warum rufst du dauernd bei uns in Deutschland an. Lass das sein. Lass uns in Ruhe.« Ich habe noch nicht einmal richtig Luft geholt, da dringen die Sätze wie eine Strafpredigt in meine Ohren. Als ob ich etwas falsch gemacht hätte. Darauf bin ich nicht gefasst. Ich sacke zusammen, es zieht mir den Boden unter den Füßen weg. Dann halte ich mir ein Ohr zu, um genauer zu hören. Was schimpft er da? Wie kommt er dazu?
    »Ich muss doch wissen, wie es meinen Kindern geht«, rufe ich ins Telefon. »Warum soll ich nicht mit ihnen telefonieren? Zwei Wochen ohne Nachricht. Ich bin fast gestorben vor Angst. Bitte gib mir wenigstens die Kinder. Es sind doch meine.« – »Nein, hier ist schon jemand, der sich um sie kümmert«, tönt es mir entgegen. Wie soll ich das verstehen, das ist doch nicht möglich? »Wieso? Warum? Wie meinst du das?« – »Dass – du – wegen – der – Kinder – nicht – mehr – anzurufen – brauchst. Hier – ist – schon – jemand – der – für – sie – sorgt«, betont Abdullah Wort für Wort. »Brauchst – du – gar – nicht.« – »Nein, bitte, was soll das denn heißen?« – »Dass du die Kinder nicht wiedersehen wirst. Kannst du gar nicht. Du kannst nicht kommen ohne Pass.« – »Aber du wolltest doch … «
    Ich stocke, die Zeit bleibt stehen, und ich höre mich nur noch brüllen: »Was habe ich denn getan, sag mir, was ich getan habe, dass ich nicht mehr zu meinen Kindern kommen darf?« Atemlos. »Ich will sofort mit Jasin und Amin sprechen. Was ist mit den Kindern?«, schreie ich. Ich höre kaum, was Abdullah am anderen Ende der Leitung sagt, ich rufe nur immer wieder nach meinen Söhnen. Doch er lässt mir keine Chance. Er will mich loswerden, endlich kapiere ich es, er sagt es klipp und klar: »Vergiss einfach, dass du je in Deutschland warst. Vergiss, dass du Kinder hast, aus, vorbei. Anssi lau led! – Vergiss die Kinder!«
    Tüüüt, tüüüt, tüüüt, tüüüt, tüüüt, wie von weit her höre ich dieses Tuten. Aus einer anderen Welt. Langsam hänge ich den Hörer ein, vorsichtig, ich will doch das Telefon der Nachbarn nicht kaputt machen. In meinem Kopf dreht sich alles, die Gegenstände um mich verschwimmen, wie im Nebel sehe ich die Nachbarin, wie sie auf mich zustürzt, als ich zu Boden gehe. Ihr gellender Schrei, »Hilfe!«, dann ist nur noch Leere, alles schwarz.
    Meine Erinnerung setzte erst wieder ein, als mir die Frau Wasser ins Gesicht schüttete und panisch rief: »Esma, was ist mit dir? Esma, wach auf.« Sie schlug mir ins Gesicht. Kniete direkt neben mir. »Was ist passiert?« – »Was

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