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Loewenmutter

Loewenmutter

Titel: Loewenmutter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Esma Abdelhamid
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sie ja nicht erwarten, da er erst drei Tage später ankommen würde. Seltsam, dass mir dieser Gedanke erst jetzt kam. Im letzten Moment. Wo würden die Kinder unterkommen, während Abdullah mit dem Auto unterwegs nach Hamburg war? Sie waren doch lange vor ihm da. Wer würde sie abholen und nach Haus bringen? Wer sie versorgen? Ihnen das Essen machen, ihre Wäsche waschen, sie ins Bett bringen? In meiner Verzweiflung hatte ich daran überhaupt nicht gedacht. Ich zitterte. Sollte ich meine Freundin anrufen, obwohl wir uns in den vergangenen Monaten wenig gesehen hatten?
    Doch wie ich Abdullah kannte, hatte er sicher andere Pläne. Als er uns nun zu den Landsleuten heranwinkte, fragte ich sofort: »Wer versorgt Amin und Jasin, wenn ich nicht da bin?« – »Da denkst du aber spät dran. Wundert mich, dass du jetzt erst danach fragst. Natürlich werde ich sie versorgen, oder meinst du, dass ich das nicht kann?« – »Doch, aber die Kinder sind in drei Stunden in Hamburg, du brauchst drei Tage mit dem Auto. Wie willst du dich da um die Kinder kümmern?« – »Ich sorge schon dafür, dass sie nicht auf der Straße stehen, mach du dir da keine Gedanken. Kümmere dich lieber um dich selbst.« – »Wo sind sie, wenn du nicht da bist?« – »Bei Freunden, du kennst sie nicht, geht dich auch nichts an. Lass das meine Sorge sein. Meinst du wirklich, du kannst auf deine Kinder aufpassen, wenn du nicht einmal auf deinen Pass aufpassen kannst?«
    Da schwieg ich, wieder hatte Abdullah so gesprochen, dass unsere Landsleute alles mithören konnten. Ich schaute nach den Kindern. Was war ich bloß für eine dumme Mutter. Im Nachhinein kann ich es mir weder erklären noch verzeihen, dass ich mich so wehrlos fügte.
    Zu sechst standen wir vor der Halle, die zu den Terminals führte, ein großer Durchgang, dahinter eine Stellwand, sodass man nicht in den Raum sehen konnte. Links und rechts zwei Grenzbeamte, die oberflächlich die Ausreiseformulare kontrollierten. Amin und Jasin standen unschlüssig herum: »Kommt mit«, sagten die jungen Landsleute aus Hamburg. »Ihr müsst gehen«, sagte ich, und es war, als würde ich mir eigenhändig ins Fleisch schneiden, bis es blutete. »Wir sehen uns bald wieder.« – »Wann?«, fragten sie und wirkten so kindlich. Wie dünn sie immer noch waren. Ich legte meine Arme um sie, ganz fest, wollte sie nicht mehr loslassen, drückte sie mitsamt ihren Rucksäcken, ließ dann doch los und drehte mich um.
    Ich taumelte und sah nicht, ob sie links oder rechts herum um die Stellwand gingen. Was, wenn einer von beiden zurückgelaufen käme? Bestimmt, sie waren viel zu klein, um alleine nach Hause zu fliegen. Für eine kurze Sekunde klammerte ich mich an diese Hoffnung. Meine Augen füllten sich mit Tränen, und mein Blick verschleierte sich. »Willst du nicht nach Hause? Ist ein langer Weg«, hörte ich da schon meinen Mann sagen, der mit hastigen Schritten vorauseilte. Sollte er doch gehen, ich konnte nicht so schnell, ich stützte mein Gesicht in beide Hände, und auf einen Schlag war ich unendlich müde. »Willst du hier Wurzeln schlagen? Komm, gehen wir«, forderte er mich noch einmal auf. Ich blickte ihn an, die Tränen strömten mir übers Gesicht: Wie fremd er mir war. »Wohin willst du gehen?«, fragte ich hilflos. »Fährst du mich nach Hause?« – »Nein, bestimmt nicht. Du musst alleine zurück. Ich hab’s dir gesagt, aber du wolltest ja unbedingt mit.« – »Wo fährst du hin?« – »Wohin, mein Gott, das weißt du doch. Zum Hafen, zur Fähre.« – »Kann ich mit?« – »Wenn du unbedingt willst.«
    Ich wollte nicht weg von ihm, ich heulte, Abdullah war meine einzige Verbindung zu den Kindern. Außer ihm hatte ich niemanden. An wen hätte ich mich denn wenden sollen, wen um Hilfe bitten. Bis zum letzten Moment wollte ich von meinem Mann hören, dass es den Kindern gut gehe und dass er sich um sie kümmern werde, bis ich sie wiedersehen würde. »Bitte, kannst du mich mit zum Hafen nehmen? Von dort aus finde ich einen Bus oder ein Sammeltaxi.«
    Er nahm mich tatsächlich mit. Es war nicht weit, 30 Minuten vielleicht zu fahren. Die Straße führte schnurgerade über den künstlich aufgeschütteten Damm am Meer, entlang der Bahngleise und vorbei an Hochspannungsmasten. Am Horizont sah ich, wie riesige blaue Containerschiffe, auf denen »Hamburg« stand, von Kränen beladen wurden. Warum zum Teufel konnte ich nicht mit? Quietschen und Ächzen war die Antwort. Blanke Metallteile, die

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