Loewenmutter
ist mit dir?« – »Mach die Augen auf!« – »Was ist mit den Kindern?« Ich konnte nicht antworten, lieber wollte ich sterben.
Von weitem hörte ich meine Mutter. Plötzlich habe ich sie vor Augen, wie im Traum, diese kleine, gebückte Frau, die einmal schön war, aber viel zu früh alt geworden ist, sodass ich ihre Augen vor lauter Falten nicht mehr sehen kann. Ich höre sie, wie sie schimpft, mit ihrer plärrenden Stimme, vor sich hin meckert: »Alles die Schuld der Männer, an allem sind die Männer schuld. Abdullah, dieser Hund, seine Schuld. Ich konnte ihn von Anfang an nicht leiden. Hab es gleich gesagt. Was tut er meinem Mädchen an? Was tun uns die Männer an, ich hasse sie.« Noch immer habe ich die Augen geschlossen, ich will sie nicht aufmachen, nie wieder. Meine Ummi ist nun ganz nah bei mir: »Wäre besser für dich zu sterben, als so zu leiden. Lieber Tod als Leiden. Lebt sie noch, oder ist sie tot?« Mitleidig hört sich diese Frage inmitten ihrer Lamentiererei an. Als ob beides möglich sei.
Mich so zu sehen, erinnerte sie an ihr eigenes Leiden, und es tat ihr in der Seele weh. Mit beiden Händen begann sie mich nun zu streicheln, über meine Wangen hoch bis zum Scheitel und nach unten zum Kinn. »Ist nicht schlimm«, murmelte sie. »Nicht schlimm. Die Männer sind fürs Drama da, sonst für gar nichts. Sie machen die Familien kaputt, und wir Frauen leiden. Nicht schlimm.« Als ich die Augen aufschlug, sah ich, wie blass sie war, sie zitterte, kein schöner Anblick. Die Mutter mit ihren vielen Tüchern um Kopf und Körper. Keine Frau, sondern ein Knäuel aus Stoffen. Was muss sie erst gelitten haben!
Ich hatte meine Söhne verloren. Mehr noch, neben dem Schmerz kroch nun auch Scham in mir hoch. Alle hatten es mitgekriegt, die Nachbarschaft, die Familie, die Verwandtschaft: Esma wurde von ihrem Mann verlassen. Abdullah hat sie verstoßen und die Kinder mitgenommen. Als ob es meine eigene Schuld sei. Ich schämte mich, fragt sich nur wofür? Ich hatte doch überhaupt nichts Schlimmes getan, Schlimmes war mir angetan worden! Aber ich wusste, dass alle mich dafür verurteilen würden, dass mein Mann mich verlassen hatte. Keiner fragte nach mir und wie es mir ging. Nie trägt der Mann die Schuld, immer ist es die Frau. Die nicht gehorsam war, nicht demütig genug oder zu viele eigene Wünsche hatte.
Ich litt und schämte mich gleichzeitig. Weil ich in den Augen der anderen Unrecht getan hatte. Aber verdammt nochmal: Abdullah hatte mir alles, was ich hatte, genommen. War nicht mir Unrecht widerfahren? Es wäre besser, tot zu sein, meine Mutter hatte schon recht. Ich wünschte wirklich, ich wäre tot. Wollte nie mehr aufstehen, mich nicht mehr rühren. Wollte nicht mehr, konnte nicht mehr. Ende, aus.
»Bleib bei uns«, sagte die Mutter »Vergiss diesen Hurensohn in Deutschland. Er hat dich verlassen und deine Kinder entführt. Jetzt soll er sehen, wie er damit zurechtkommt. Sind doch seine Söhne, auch wenn er das bisher nie gezeigt hat. Lass sie, wo sie sind. Bau dir hier ein neues Leben auf.« Meine Mutter wollte mich trösten, aber mir die Kinder ausreden zu wollen war das Schlimmste, was sie machen konnte. Was sollte das, Amin und Jasin gehörten zu mir! Ich konnte mir keine Zukunft ohne sie vorstellen. Wusste meine Mutter das nicht? Nein, das spürte sie nicht. Nicht mehr. Das Leben hatte sie so abgestumpft. »Nein«, schrie ich wild. »Nicht ohne meine Kinder.«
6.
»Ich werde kämpfen«
Wie sollte ich die Tage überstehen, ohne meine Söhne? Die Monate und Jahre, bis sie erwachsen waren. Sie dann erst wiedersehen? Wenn sie mich dann überhaupt noch sehen wollten. Würden sie nach mir suchen? Fehlte ich ihnen? Jetzt schon? In den folgenden Tagen saß ich stundenlang mit Amal auf dem Schoß. Ich drückte sie an mich und wiegte sie, bis sie wegrannte, weil ich mich zu sehr an sie klammerte. Ich wollte nicht begreifen, was passiert war, immer wieder schüttelte ich den Kopf. So sah das Ende aus.
Wie dumm war ich eigentlich gewesen, dass ich nicht bemerkt hatte, was mein Mann plante? Nicht der leiseste Verdacht war mir gekommen. Und nun hatte er vor meinen eigenen Augen die Kinder entführt. Immer wieder hallten seine Worte in meinen Ohren: »Vergiss Deutschland! Anssi lau led! – Vergiss die Kinder!« Wie ein Todesurteil. Ich hörte Abdullahs Stimme tagsüber, da zuckten seine Worte wie Blitze in mir, nachts überfielen sie mich wie ein Unwetter. »Vergiss die Kinder!«
Ich kann sie nicht
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