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Loewenmutter

Loewenmutter

Titel: Loewenmutter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Esma Abdelhamid
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vergessen! Nie. Hatten sie mich am Ende schon vergessen? Woran würden sie sich erinnern? Was war ich für Amin und Jasin? Ich hatte ihnen Essen gemacht, sie angezogen und ins Bett gebracht. Ich war ihnen nicht wirklich nah gewesen. In meiner Einsamkeit war ich plötzlich überzeugt davon, dass ich mich zu wenig um meine Kinder gekümmert hatte. Jetzt, wo sie weg waren. Diese Einsicht kam spät. Aber ich hatte doch so gut ich konnte für sie gesorgt! Und stand nun mit leeren Händen da.
    Haben Amin und Jasin sich von mir geborgen und geliebt gefühlt? Was würden sie sagen? Ich habe ihnen nie gesagt, dass ich sie liebe. Warum nicht? Weil es mir nicht bewusst war …
    Im hintersten Winkel unseres Gartens hockte ich auf der Erde, die Beine angezogen, mein Kleid über die Knie gezogen. Es wurde Herbst, die Steppe hatte sich feuerrot gefärbt, alles Gras war verbrannt. Aber ich nahm nichts um mich herum wahr. Zerrte an den vertrockneten Pflanzen in den Blumentöpfen. Bis auf die Wurzeln brach ich die Ästchen und Zweige ab, zermahlte sie zwischen den Fingern zu Staub und verstreute ihn um mich. Wenn ich jetzt für meine Kinder kämpfe, bin ich dann eine liebende Mutter, wie ich es von mir selbst erwarte? Wollen mich meine Kinder überhaupt? Ich will meine Kinder, weil sie zu mir gehören.
    Ich liebe sie, das spüre ich. Zu spät? Vielleicht würde ich ihnen niemals mehr sagen können, dass ich sie liebe! Und dass ich für sie da sein möchte. Meine Gedanken drehten sich im Kreis. Ich hatte versagt. Das tat weh. Nachts konnte ich nicht schlafen. Zum ersten Mal beneidete ich meine Mutter, die immer schlafen konnte. Auch tagsüber. Weil sie sich daran gewöhnt hatte, den Schmerz zu ignorieren. Aber ich? Ich war noch nicht so abgestumpft, sondern quälte mich. Dann schlüpfte Amal wieder zu mir und nahm mich bei der Hand, um mich aus meiner Ecke zu holen. Sie war mir geblieben. Amal heißt Hoffnung. Daran habe ich mich geklammert, 24 Stunden am Tag. Ich musste sie immer um mich haben. Und wenn ich sie spürte, wusste ich, dass die Kinder ein Teil von mir waren. Ich musste für sie kämpfen.
    »Esma, wo bist du?«, rief mich mein Vater. »In Gedanken«, wollte ich antworten, blieb aber stumm. Er stand am Hoftor, groß und abgemagert, er kam vom Beten, hatte einen Schal um seine Schultern liegen. »Esma, ich will jetzt von dir wissen, warum Abdullah dich verlassen hat?« – »Weiß ich nicht.« – »Aber es muss doch einen Grund dafür geben. Sag mir warum?« Mein Vater hatte meinem Mann immer vertraut und ihn wie einen Sohn behandelt. Jetzt war er enttäuscht. Er konnte nicht verstehen, dass Abdullah mich so mir nichts, dir nichts hatte sitzenlassen. Er verschränkte seine Arme. Für ihn war die Schuldfrage klar. Ich spürte, was er hören wollte. Ich sah es in seinen Augen, die mich fragend anschauten. Nicht liebevoll, sondern streng: Die Frau war schuld, wenn der Mann ging! Ich wusste, dass er das dachte. Ich sagte nichts, stand aber auf, lief ihm durch die Bäume bis zur Terrasse entgegen, senkte meinen Blick und starrte auf die Steinfliesen. Sandfarben mit grünen Einsprengseln, die grauen Fugen dazwischen verliefen ins Unendliche. Als Kind hatte ich manchmal die Augen zusammengekniffen, dann hatten die Linien angefangen zu flimmern und wie Wasserwellen zu laufen. Auch jetzt wogten sie auf und ab.
    »Er ist wie mein Sohn, als Ehefrau musst du ihm gehorchen«, hörte ich den Vater sagen. »Hast du nicht auf ihn gehört? Du musst doch etwas falsch gemacht haben.« Ich schüttelte den Kopf, was hätte ich ihm antworten sollen? Er tat mir weh mit seinen Unterstellungen. »Was willst du von mir wissen?«, fragte ich ihn forsch. »Du weißt doch sowieso schon alles. Du hast mich schuldig gesprochen, warum soll ich mich verteidigen? Wie soll ich mich verteidigen?«
    Da wurde er laut: »Dass du den Pass verloren hast, ist unverantwortlich. Wer kümmert sich jetzt um die Söhne? Dein Mann war nicht zufrieden mit dir und hat dich deswegen verlassen. Warum war er unzufrieden, dafür muss es doch einen Grund geben.« Ich schwieg. Wie sollte ich ihm erklären, was mir selbst unerklärlich war. War mein Mann unzufrieden mit mir, weil ich ihm zu selbständig geworden war? Weil ich arbeiten gehen und Geld verdienen wollte? Weil ich eine Freundin hatte, den Führerschein machte oder weil ich mich ihm verweigert und die Polizei geholt hatte?
    Es war eine unerträgliche Atmosphäre, voller gegenseitiger Vorwürfe. Ich fühlte mich fremd.

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