Loge der Lust
‚Kind‘ klingt unmündig, aber ich bin erwachsen.“ Seufzend lehnte sie sich zurück. Sie würde ihrer Mutter und auch ihrem Vater, wenn er von der Arbeit heimkehrte, eine Erklärung geben müssen, damit sie ihr nicht weiterhin auf die Nerven gingen. „Mein Chef hat mir Sonderurlaub gegeben“, log sie, „weil ich einen anstrengenden Undercovereinsatz hinter mir habe.“
„Undercovereinsatz? War das nicht etwas riskant? Du kommst doch frisch von der Polizeischule.“
„Ich lebe noch“, rutschte es ihr heraus. Sie bereute es sogleich und fügte hastig hinzu: „Es ist alles gut gegangen. Aber jetzt muss ich telefonieren. Entschuldige mich bitte.“ Geräuschvoll schob sie den Küchenstuhl zurück.
„Dein Vater wird ausflippen, wenn er das hört.“ Nervös richtete Sybill ihre Frisur, die dank enormer Mengen Haarspray jedem Sturm standgehalten hätte. „Du hättest sein Angebot annehmen sollen, dir einen Schreibtischjob beim Metropolitan Police Service zu besorgen.“
Aufgebracht winkte Teena ab. „Ja, ja, ich mache immer alles falsch in euren Augen.“
Bevor ihre Mutter antworten konnte, hastete sie die Treppe hoch, setzte sich aufs Bett und nahm den Telefonhörer. Aus ihrer Handtasche zog sie einen Zettel, auf dem sie alle wichtigen Telefonnummern notiert hatte, auch die Mobilnummer von Matthew Hallow. Sie zögerte. Mit zittrigen Fingern wählte sie schließlich.
„Hallow.“
Sie räusperte sich. „Teena hier. Ich möchte mich für die kommende Woche krankmelden.“
„Ist alles in Ordnung?“ Er klang besorgt.
„Ja, sicher, ich …“
„Teena“, begann er mit einer sanften Stimme, die sie noch gar nicht von ihm kannte, „falls du Zeit brauchst, nimm sie dir. Ich habe ein schlechtes Gewissen. Das mit dem Undercover-Einsatz tut mir leid. Ich wollte dich nicht in Gefahr bringen. Ist dir auch wirklich nichts geschehen?“
Teena legte sich auf den Rücken und starrte zur Decke. Wollte Matthew ihr plötzlich sein Herz ausschütten? Sie entschied sich für die Flucht nach vorne. Was hatte sie zu verlieren? „Tatsächlich möchte ich mir eine Auszeit nehmen. Ende der Woche werde ich mich entscheiden, ob ich nach Gardenrye zurückkehre …“
„Du passt gut in unser Team“, unterbrach er sie. „Unser Revier braucht eine engagierte Polizistin wie dich.“
„Vorher muss ich aber eine Sache wissen. Warum hast du mich in das Kesselhaus geschickt?“
„Warum?“, fragte er verdutzt.
Er verstand nicht, was sie meinte, daher half Teena nach: „Hattest du wirklich vor, dich mit der Loge der Lust anzulegen? Oder hast du nur vorgegeben, gegen sie zu ermitteln, um die Akte so bald wie möglich ergebnislos schließen zu können?“
Zuerst druckste Matthew herum. „Oh, Teena … solche direkten Fragen … nun, also, ich weiß gar nicht, was ich sagen soll. Herrje! Woodridge meinte, du wärst im Bilde, aber dass du alles weißt, war mir nicht klar.“
„Ich will nur die Wahrheit wissen, mehr nicht!“ Sie legte Entschlossenheit in jedes ihrer Worte.
Am anderen Ende der Leitung atmete Matthew tief ein und stieß dann kraftvoll die Luft aus. „Es war keinesfalls meine Absicht, dich ins offene Messer laufen zu lassen. Die Loge zeigt ihre Krallen gerne, benutzt sie aber nicht. Das war auch nie nötig. Sie sichert sich ab, schlägt mit Verstand und nicht mit Kraftakten zurück.“
„Das Kesselhaus.“ Er wich aus, das ließ Teena nicht zu.
„Ich wollte der Loge zeigen, dass ich nicht untätig zusehe, wie sie mein Leben zerstört und mich durch den Fall ‚Lady in Pink‘ in die Enge treibt. Sie sollte wissen, dass ich mir so etwas nicht gefallen lasse. Deshalb habe ich die Ermittlungen aufgenommen. Es hätte auch keinen Zweck gehabt, den Fall zu vertuschen. Wie hätte ich vor euch rechtfertigen sollen, dass ich eine Aufklärung ablehne? Der Earl of Cunninghall hätte mich weiter traktiert, bis die Öffentlichkeit auf den Fall aufmerksam geworden wäre. Wie hätte ich dann dagestanden? Ich wäre verloren gewesen. Also musste ich die Loge vorher stoppen.“
„Dann war der Einsatz also nur als Abschreckung für die Loge gedacht?“
Sie hörte, wie er trank und einen Becher abstellte. „Ehrlich gesagt, hatte ich gehofft, wir würden etwas finden, um sie auffliegen zu lassen, oder zumindest etwas, das sie von mir fernhält. Du hättest den Hinweis öffentlich machen können. Dann wäre es nicht meine Schuld gewesen, und die Loge hätte mir nichts ankreiden können.“ Er lachte abfällig.
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