Loge der Lust
gewesen. Sie hätte die Verdächtige nicht auf eigene Faust verfolgen sollen. Mit dieser Fehlentscheidung hatte das Verhängnis begonnen. Nun hielt sie einen Beweis zurück, hatte Monica und Sly mit hineingezogen und ermittelte hinter dem Rücken der Kollegen. Wie sollte sie heil aus dieser misslichen Situation herauskommen? Sie musste den Fall allein lösen. Eventuell fand sie auch einen Anhaltspunkt über die Lady in Pink, der es ermöglichte, die Perücke und das Geschehen im Coast Liquor Store völlig zu verschweigen und den Fall dennoch weiterzubringen. Möglich war alles – sicher war nichts.
„Die Hoffnung stirbt zuletzt“, murmelte Teena und machte sich auf, außerhalb von Gardenrye Indizien zu finden, denn das Städtchen selbst gab nicht viel her.
Die Worte ihres Ausbilders Seth Collomew fielen ihr wieder ein: „Wenn Sie mit Ihrem Latein am Ende sind, betrachten Sie den Fall von außen. Mit ein wenig Abstand tun sich oft völlig neue Einblicke auf.“
Eifrig durchforstete Teena Bücher, die über die Geschichte von Gardenrye Auskunft gaben. Das war zwar interessant zu lesen, brachte sie aber in ihren Ermittlungen nicht weiter. Erst als sie in einem dicken Wälzer auf ein Kapitel über die Adelsgeschlechter der Gegend stieß, setzte sie sich an einen der Tische und begann aufmerksam darin zu lesen. Die Bewohner von Cunninghall Manor wurden eingehend beleuchtet. Den Namen Ethan Woodridge suchte Teena jedoch vergeblich. War das Buch möglicherweise zu alt? Sie blätterte auf die ersten Seiten zurück. 1973 wurde es veröffentlicht. Sie versuchte sich an die Befragung von Woodridge zu erinnern. Welches Geburtsdatum hatte er noch angegeben? 1961, zumindest die Jahreszahl fiel ihr wieder ein. Folglich war er bereits zwölf Jahre alt, als das Werk erschien.
Warum wurde er dann nicht darin erwähnt?
Da Teena seinen Namen auch in anderen Büchern nicht fand, ging sie in das Zeitungsarchiv, wo sie einige Mikrofilme durchschaute. Als ihre Augen schon schmerzten, wurde sie endlich fündig.
Laut las sie die Titelzeile vor: „Ethan Woodridge, Earl of Cunninghall, erbt Cunninghall Manor nach dem Tod seines Onkels Thomas Woodridge.“
„Psst“, kam es von überall her. Die Anwesenden sandten ihr böse Blicke zu und vertieften sich wieder in ihre Lektüre.
Teena schwieg und las stumm weiter. Der Artikel stammte vom Januar 1989 und berichtete, dass Ethan mit 28 Jahren das Anwesen und somit auch das Vermögen übernommen hatte. Zuvor hatte er mit seinen Eltern in Chelmsford gelebt und an der University of Essex in Colchester Wirtschafts- und Politikwissenschaften studiert. Der Journalist, der den Artikel verfasst hatte, fragte sich, weshalb Ethan Woodridge mit seinem hohen Bildungsstand nicht ausgezogen war, um die Welt zu erobern, oder warum er nicht zumindest nach London gegangen war, wo man ihm durchaus Chancen auf einen Sitz im Parlament eingeräumt hatte. Stattdessen zog er sich aufs Land zurück und kümmerte sich um die Besitztümer derer von Cunninghall. Er war zwar lokalpolitisch tätig, doch das war, nach Auffassung des Journalisten, eine Verschwendung seines Talents.
Er ist also ein Zugezogener, durchfuhr es Teena, nachdem sie den Artikel zum zweiten Mal gelesen hatte. Hatte Rosalin nicht gesagt, dass Zugezogene zusammenhalten, dass sie einen Gönner hätte, der ihr teure Flaschen Dom Perignon schenkt und ihr Dessousgeschäft mitfinanziert? Teenas Magen krampfte sich zusammen bei dem Gedanken, dass Ethan Roz‘ Verehrer war. Aber woher sollten sich Roz und er überhaupt kennen? Ging sie da mit ihren Mutmaßungen nicht ein wenig zu weit?
Teena kam zu dem Schluss, dass diese Folgerungen unsinnig waren. Ein Earl hielt sich nicht in denselben Kreisen wie die Inhaberin eines Dessousgeschäfts auf. Sprach nicht vielmehr die Eifersucht aus Teena? Dazu hatte sie keinen Grund. Sie spielte doch gar nicht in Ethans Liga.
Nachdem sie sich einen Becher Wasser aus dem Spender in der Halle geholt hatte, schaute sie sich die Mikrofilme des letzten Jahrzehnts an. Sie suchte fieberhaft nach der Erwähnung einer pinkfarbenen Perücke, doch das war, als wolle sie eine Stecknadel im Heuhaufen finden. Stattdessen stieß sie in einer Ausgabe der Newcastle Daily News aus dem Jahr 2000 auf einen Artikel in der Rubrik „Die Polizei berichtet“. Diese nahm nur eine kleine Spalte am linken Rand ein, sodass man sie neben den großen Überschriften der Leitartikel leicht übersah. Teena bemerkte sie dennoch.
Der Name Rosalin
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