Lohse, Eckart
Mühe, eine Heldengeschichte macht, die alle anderen mit
einer weniger aus dem Ruder gelaufenen Vergangenheit als Langweiler dastehen
lässt. Oder als er 1999 von seiner eigenen Partei wegen des Kosovo-Krieges so
bedrängt wird, dass die frisch geschmiedete rot-grüne Bundesregierung schon
nach einem guten halben Jahr am Abgrund angekommen ist. In dieser Situation
gelingt es Fischer auf einem Sonderparteitag in Bielefeld, das Heft wieder in
die Hand zu bekommen, den Grünen eine Zustimmung zu diesem Krieg abzuringen.
Dass ihm dabei ein Eiferer einen Beutel mit roter Farbe aufs Ohr wirft, hilft
ihm nur, die Dramatik des Kampfes deutlich zu machen. Wäre dieser Verrückte
nicht von sich aus erschienen, Fischer hätte ihn glatt engagieren müssen. In
den beiden Regierungen Merkel hat außer Guttenberg höchstens Ursula von der
Leyen das Zeug zu solcher Wendung der öffentlichen Meinung. Wirkt es erst noch
so, als drohe sie mit ihrer allzu modernen Familienpolitik an den mächtigen
alten Männern der Union zu scheitern, so steht sie schon bald darauf als die
Jeanne d'Arc der CDU da, die mit Erfolg für die Berufstätigkeit der Frauen
kämpft.
Nach seinem kurzen Auftritt setzt
sich Guttenberg wieder in die Regierungsbank. Er tauscht sich mit Merkel und
Pofalla aus. Einige Plätze weiter sitzt jener Mann, dessen politische Laufbahn
sich durch den Auftritt Guttenbergs jäh ihrem Ende zuneigt: Franz Josef Jung,
der Arbeitsminister. Hatte Guttenberg ihn nicht bei seiner Amtseinführung noch
dafür gelobt, dass Verlass auf sein Wort sei? Guttenberg spricht es nicht offen
aus, aber mit seinem Auftritt und den Anwürfen gegen Schneiderhan und Wiehert
stellt sich ganz selbstverständlich eine weitere Frage: Wusste Jung
damals Bescheid über den Feldjägerbericht? Und wenn ja, warum hat er dann
nichts gesagt, auch seinem Nachfolger nicht? Die Opposition erkennt die
Gelegenheit und drängt, Jung möge sich äußern. Der scheint es zunächst gar
nicht fassen zu können, dass die Angelegenheit für ihn zu einer existenziellen
Bedrohung wird. Nach einigem Hin und Her im Parlament tritt der Arbeitsminister
um kurz nach halb zwölf doch ans Mikrophon und sagt, er wolle »die Chance
haben, die Unterlagen zu überprüfen«. Danach werde er sich vor den
Abgeordneten äußern.
Um 18.15 Uhr ist es
so weit. Jung spricht selbst sein politisches Todesurteil. Generalinspekteur
Schneiderhan habe ihn über die Existenz des Feldjägerberichts informiert, wenn
auch erst Anfang Oktober. Er habe eingewilligt, den Bericht für die
Nato-Untersuchung freizugeben. Allerdings habe er »keine konkrete Kenntnis« vom
Inhalt gehabt. Jung hat also seinen Generalinspekteur nicht etwa getadelt, weil
er ihm den Bericht nicht gegeben habe, sondern hat ihm blind vertraut und das
Papier nicht einmal gelesen. Schneiderhan hat den Minister bewusst in
Unkenntnis gelassen, und dieser hat das hingenommen. Es dauert nicht mehr
lange bis zu den ersten Rücktrittsforderungen.
Eine Nacht ist der einstige
hessische Landespolitiker Jung noch Mitglied des Bundeskabinetts. Am nächsten
Morgen wird er ins Kanzleramt gerufen. Angela Merkel macht ihm klar, dass sie
ihn nicht halten kann. Am Mittag folgt dann die nicht überraschende Ankündigung
einer Pressekonferenz im Arbeitsministerium. Es ist 13.30 Uhr. Jung,
der ewig Freundliche, lächelt noch einmal in die Hauptstadtkameras. Dann sagt
er knapp, er habe der Bundeskanzlerin mitgeteilt, dass er sein Amt als Minister
für Arbeit und Soziales zur Verfügung stelle.
Eine Woche später, am 3. Dezember,
werden Wolfgang Schneiderhan und Peter Wiehert im Verteidigungsministerium mit
einem Großen Zapfenstreich verabschiedet. Schneiderhan hält eine Rede. Er
dankt allen Ministern, denen er gedient hat - nur Guttenberg nicht. Gut vier
Wochen hat der neue Minister gebraucht, die beiden Topleute des Ministeriums
vor die Tür zu setzen und noch dazu seinen Amtsvorgänger aus dem neuen Amt zu
katapultieren. Ein bemerkenswertes Tempo.
Ein bisschen
Lüge
Die Angelegenheit ist damit nicht
erledigt, schon weil ein Untersuchungsausschuss droht. Zunächst aber ist
Guttenbergs Auftritt vor dem Bundestag am 26. November
der Beginn einer Serie von Schuldzuweisungen und zum Teil harten Vorwürfen.
Es ist nicht nur klar, wer das Opfer ist, sondern vor allem, wer die Bösewichte
sind. In einer Offenheit, wie man sie bis dahin von einem Bundesminister noch
nicht erlebt hat, schwärzt Guttenberg die an die Luft gesetzten Herren vor
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