Lohse, Eckart
Streitkräftereform« an. Die
Veränderungen für die Bundeswehr würden nicht »marginal« sein. Ausdrücklich
lässt sie wissen, dass der Verteidigungsminister »keine Denkverbote« habe. Bis
zum September soll er klären und erklären, wie eine Verringerung der
Truppenstärke um 40000 Mann zu bewerkstelligen wäre. Das ist nach einem solchen
Auftritt und einer derart grundstürzenden Forderung schon ein kleiner Sieg für
den Minister. Der weiß, dass es jetzt sein Job ist, die Mitglieder und Funktionsträger
in CDU und CSU davon zu überzeugen, dass ihr bisheriges Eintreten für die
Wehrpflicht ein bedauerlicher Irrtum war. Zweitens muss er seine Argumentation
vom Kopf auf die Füße stellen und sich eine sicherheitspolitische Be gründung
für seine Reformpläne ausdenken, der dann die finanzielle folgen kann.
Das Tabu fällt
Der politische und der mediale
Betrieb nicht nur in Berlin, sondern auch in den Landeshauptstädten, in den
Kreisverbänden und Ortsvereinen der Parteien pflegt zahlreiche Tabus. Bei
diesen, so lautet der ungeschriebene Konsens, braucht nicht einmal diskutiert
zu werden, die Umstände sind in Granit gemeißelt. Die Wehrpflicht ist bis zum
Frühsommer 2010 solch ein Tabu. Die Forderungen
der FDP und der Grünen, sie abzuschaffen oder auszusetzen (was in der Praxis
dasselbe ist), gelten seit jeher als wirklichkeitsferne Wünsche von Klientelparteien,
die zuverlässig durch die Volksparteien abgewiesen werden. Selbst als die SPD
einige Jahre früher als Guttenberg das Modell einer freiwilligen Wehrpflicht
entwirft, weil man die Defizite der Wehrpflichtpraxis erkannt hat, erreicht
dieser Vorschlag nicht im Entferntesten ein Stadium, dass der Verwirklichung
auch nur nahe kommt. Für die Union ist das damals undenkbar. Und jetzt wird
ausgerechnet aus deren Mitte der Dolch zum Todesstoß geführt?
Die Debatte des Jahres 2010 verläuft
in zwei Hauptsträngen. Der eine ist eine reflexhafte Zurückweisung von Guttenbergs
Vorstoß. Dessen Verhalten in der Klausur ist nicht geeignet, diesen Reflex
abzuschwächen. Unter Parteifreunden, Kabinettsmitgliedern und Beamten hat sein
Auftritt zu Verstimmung geführt. Ausgerechnet er, der seine Zuhörer so gern
darüber belehrt, was gutes Benehmen sei, was der Anstand gebiete, gebärdet sich
als politischer Schläger. Diese Verärgerung und der inhaltliche Widerstand
sind die Quellen für die Ablehnung der Guttenberg'schen Offensive.
Der zweite Strang der Debatte ist
die Merkel-Linie, auf der sich eine schnell wachsende Zahl von Unionspolitikern
bewegt. Skepsis angesichts einer so radikalen Abwendung vom eigenen Programm
verbindet sich mit der Ahnung, dass Guttenberg recht haben und die Zeit reif
sein könnte, auch in Deutschland die Ära der Wehrpflicht zu beenden. Es gibt sogar
Anzeichen dafür, dass der erfahrene Seehofer nach dem ersten Schrecken schnell
begreift, Guttenberg könnte auf dem richtigen Weg sein. Er zeigt sich
vorsichtig bereit zu einer Grundsatzdebatte.
Am 11. Juni, nur
wenige Tage nach der Kabinettsklausur, verkündet Guttenberg vor dem Bundestag,
er werde die Aussetzung der Wehrpflicht »ergebnisoffen« prüfen. Für wie offen
er das Ergebnis hält, darf allerdings hinterfragt werden. Denn seinen
Generalinspekteur Volker Wieker und die Inspekteure der Teilstreitkräfte hat
er angewiesen, Modelle für eine radikale Verkleinerung der Truppe
auszuarbeiten. Eine Modellrechnung soll eine Truppengröße von 150000 Soldaten
zur Grundlage haben, also eine Kürzung um 100000 Mann, und
die Aussetzung der Wehrpflicht.
Nun muss Guttenberg werben und
warten. Werben für seinen Plan in der Regierung, der Union und in der
Öffentlichkeit. Und warten darauf, dass die Erkenntnis sich durchsetzt, die
Wehrpflicht sei nicht zu halten. Für beides braucht er Mitstreiter. Jetzt muss
sich zeigen, ob er neben seiner Popularität und seinem Redetalent auch ein
tragfähiges politisches Netz besitzt. Ein erstes wichtiges Zeichen dafür kommt
aus der Landesgruppe der CSU im Bundestag. Deren Vorsitzender, Hans-Peter
Friedrich, lobt als erster prominenter CSU-Politiker ausdrücklich den
Vorschlag des Ministers: »Ich glaube, dass der Verteidigungsminister eine
wichtige Debatte angestoßen hat. Ich tendiere zu seiner Meinung, dass man die
Wehrpflicht aussetzen sollte.«
Es ist kein Zufall, dass
ausgerechnet Friedrich dem Minister beispringt. Wie Guttenberg kommt er aus
Oberfranken. Er hat zweieinhalb Jahre zuvor die Kandidatur Guttenbergs für den
in der
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