Lohse, Eckart
gegen Hitler ins
Gedächtnis. Er erinnert vor dem Reichstag daran, dass der Bundestag über den
Einsatz der Soldaten entscheidet. Und er spricht auch die deutsche Einheit an,
die 20 Jahre zuvor errungen wurde. »Es ist
erst, und wenn man auf Ihr Alter blickt, schon zwanzig Jahre her«, sagt er zu
den 19, 20 oder 21 Jahre
alten Rekruten.
Nach Guttenberg spricht Ewald
Heinrich von Kleist. Er ist 88 Jahre alt,
aber seine Stimme ist fest. Als junger Leutnant wurde er von Claus Schenk Graf
von Stauffenberg in die Attentatspläne auf Hitler eingeweiht. Sein Vater wurde
am 9. April 1945 in
Berlin-Plötzensee umgebracht. Er begnügt sich nicht damit, die Männer des 20. Juli 1944 zu ehren.
Vielmehr kritisiert er, dass der Widerstand der Militärs gegen Hitler zu spät
gekommen sei. Schon nach dem 30. Juni 1934, dem
»Röhm-Putsch«, hätte die Reichswehr eingreifen müssen. »Der deutsche Staat
wurde zum ersten Mal zum Mörder. Das war für alle erkenntlich«, sagt Kleist.
Die Führung der Reichswehr habe nicht gehandelt, obwohl auch zwei ihrer
Generäle ermordet worden seien. Kleist nennt das ein »äußerst befremdliches
Verhalten«. Von da an habe Hitler gewusst, dass ihm »aus dieser Ecke keine
Gefahr drohte«. Nachdem die Spitzen der Militärs nicht eingegriffen hätten,
habe eine schrecklich tatenlose Zeit begonnen. Erst die tiefe Scham und das
Entsetzen, dass die Verbrechen in deutschem Namen verübt wurden, hätten die
Männer des 20. Juli zum Handeln gezwungen. Sie
hätten verstanden, dass es Wichtigeres gibt als ihr eigenes Dasein. Und wenn
ihr Attentat geglückt wäre, hätte es geholfen, viele Opfer zu vermeiden, sagt
Kleist und erinnert daran, dass im Zweiten Weltkrieg nach dem 20. Juli 1944 mehr
Menschen umgekommen seien als in den Jahren zuvor. Zu sagen, die Männer des 20. Juli 1944 hätten aus
Opportunismus gehandelt, sei »eine extrem absurde Behauptung«, so Kleist. »Man
stirbt nicht aus Opportunismus.« Er spricht auch von anderen Toten, den
gefallenen deutschen Soldaten in Afghanistan. »Jeder einzelne Verlust ist für
uns sehr schmerzlich, und wir wollen uns nicht daran gewöhnen.«
Aussetzen,
nicht abschaffen
Viele derjenigen Staaten, die ohne
Wehrpflicht auskommen, haben sich entschieden, diese nicht abzuschaffen,
sondern nur auszusetzen. Damit kann sie im Fall der Fälle ohne neue Gesetzgebung
wiederbelebt werden. So will es auch Angela Merkel haben. Darauf verständigt
sie sich im Juli mit ihrem Verteidigungsminister. Dahinter steht weniger die
Sorge, in absehbarer Zukunft wieder ein Massenheer zur Verteidigung
Deutschlands oder der Nato gegen feindliche Truppen zu brauchen. Davon geht in
der Bundesregierung niemand aus, auch wenn Guttenberg gern betont, dass er
keine prophetischen Gaben besitze und nicht wisse, was in der Zukunft passiere.
Auch ist jedem Beteiligten klar, wie schwierig es würde, eine seit fünf, zehn
oder 20 Jahren ausgesetzte Wehrpflicht zu
reaktivieren. Hinter der Formulierung »Aussetzen« steckt vor allem der Wunsch
der Kanzlerin und des Ministers, die Widerstände in den eigenen Reihen gegen
ein Ende der Wehrpflicht nicht noch dadurch zu erhöhen, dass man die Mehrheit
für eine Grundgesetzänderung zusammenbekommen muss.
Hätte im Sommer 2010 jemand
vorausgesagt, dass die CSU ein Vierteljahr später auf ihrem Parteitag in
München gerade eine halbe Stunde brauchen sollte, um unter dem begeisterten
Beifall für den gefeierten Verteidigungsminister und ganz ohne Debatte die
Wehrpflicht in den Mülleimer der Geschichte fallen zu lassen, wäre dieser Prophet
bestenfalls für verrückt erklärt worden. Immerhin drängt Guttenberg mächtig
nach vorne. Im Juli präsentiert er fünf Modelle, wie die künftige Bundeswehr
aussehen könnte. Doch das ist im Grunde nur Show. Über vier der fünf Modelle
redet niemand ernsthaft, schon gar nicht der Minister. Er legt sich von Anfang
an auf dasjenige fest, das eine Verkleinerung der Bundeswehr auf 150000 bis 160000 Zeit- und
Berufssoldaten vorsieht, zusätzlich 7500 bis 15 000 freiwillig
Dienende und eine Aussetzung der Wehrpflicht.
Die Dinge sind inzwischen so sehr
in Bewegung geraten, dass sie kaum mehr aufzuhalten sind. Der Widerstand aus
der Union ist überschaubar. Immer wieder heben einzelne Ministerpräsidenten
die Bedeutung der Wehrpflicht hervor. Doch ändern die Mahnungen ihren
Charakter. Statt die Position Guttenbergs glatt abzulehnen, mehren sich die
Aufrufe, so etwas nicht im kleinen Kreis auszuhandeln, sondern
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