Lohse, Eckart
des eigenen
Wortes und der Musik. Nicht jedermanns Sache ist es freilich, wenn der Dirigent
seine Konzerte mit einer aufrüttelnden politischen Ansprache beginnt. Verdis
»Requiem« lässt er etwa 1990 als
»Requiem für den Regenwald« aufführen. »Wir singen ein Requiem«, sagt er. »Wir
singen es am Grab der Ermordeten. Wir singen es zugleich vor ihren Mördern.
Denn die Mörder sind wir alle.« Haydns »Schöpfung« interpretiert er als ein
Werk über den Klimawandel. Guttenberg ist als Dirigent umstritten, ein
Autodidakt, der genug Geld habe, sich einen Chor und ein Orchester zu leisten,
sagen die Kritiker. Guttenberg hat deswegen gelegentlich gesagt, er hätte
lieber, besonders am Anfang seiner Dirigentenkarriere, Meier geheißen statt zu
Guttenberg. In die erste Reihe hat es Enoch zu Guttenberg unter den Dirigenten
nicht gebracht, aber er hat seine Fangemeinde. Natürlich schwingt in der Kritik
an dem Dirigenten auch Neid mit, dass hier einer seiner musikalischen Leiden-
Enoch zu Guttenberg, Dirigent,
radikaler Umweltschützer und »bekennender Apokalyptiker«, wie sein Sohn
Karl-Theodor ihn nennt
schaft so unabhängig nachgehen
kann, wie es die meisten im Musikbetrieb nicht können.
Guttenberg ist eine
Ausnahmeerscheinung im Konzertbetrieb, er tobt sich auf der Bühne aus, ein
»Ekstatiker am Dirigentenpult«, der die Zuhörer aufwühlen, erschüttern will.
»Er übertrieb«, sagt der Musikkritiker Joachim Kaiser über ihn, »das kam mir
nicht wirklich professionell vor.« Bei der Aufführung des Bach-Chorals »O
Haupt voll Blut und Wunden« müssten Hiroshima und das Ozon-Loch mitschwingen,
hat Guttenberg gesagt. Das Werk lässt er so singen, dass es wie eine Kaskade
von Peitschenhieben klingt. Musik transportiere immer eine Botschaft, bekennt
er sich zu seinem musikalisch-politischen Engagement.
Sein Engagement für den
Umweltschutz erklärt er auch aus dem eigenen Erleben, dass eine einstmals heile
Natur dem Fortschritt geopfert wurde. Als in die verwunschenen Täler rund um
das Schloss überall Straßen gebaut wurden, »war mir, als würde meine Seele
zubetoniert«. Und als auf dem familieneigenen Weingut in Deidesheim in der
Pfalz, das die Guttenbergs geerbt haben, 20 dicke
Ackergäule innerhalb eines Jahres »einen Kopf kürzer gemacht« und von drei
Maschinen ersetzt wurden, war das »ein Schock, den ich als Kind nicht
verarbeitet habe«. Hier vermischt sich die traditionelle und tatsächlich
gelebte Naturnähe des landbesitzenden Adels mit dem Umweltschutzgedanken; das
ökologische Engagement gibt der konservativen Trauer über eine verloren
gegangene Welt ein modernes Gesicht.
Enoch zu Guttenberg glaubt, dass
die heile Welt von gestern kaum noch zu retten ist, dass die Menschheit nicht
begriffen hat, wie dramatisch die Lage wirklich ist, und dass etwa die
Bemühungen, den Klimawandel zu dämpfen, viel zu spät kommen. Er fürchtet, so
sagt er, dass im Vergleich zu dem, was uns an menschlichen Konflikten
bevorstehe, der Zweite Weltkrieg ein Spaziergang gewesen sei. Das Schmelzen
der Polkappen sei ein Zeichen dafür, dass der Klimawandel irreversibel sei.
Deswegen werde es in 20 bis 30 Jahren 1,4 Milliarden
Flüchtlinge geben, sagt Enoch zu Guttenberg Anfang März 2010 in einem
öffentlichen Streitgespräch mit seinem alten Freund Hubert Weinzierl, einem
unverbesserlichen Optimisten, auf dessen Gut in Wiesenfelden.
Karl-Theodor folgt den Ansichten
des Vaters zu dessen Leidwesen nicht. Er hält den Vater für zu pessimistisch;
der Vater hingegen sieht den Sohn als zu technikgläubig an und als zu sehr auf
die Tagespolitik fixiert. Karl-Theodor zu Guttenberg hat seinen Vater einen »bekennenden
Apokalyptiker« genannt. Der Vater hat dazu angemerkt, der Tod von 29000 Kindern,
die infolge »unseres Umgangs mit dem Planeten« täglich stürben, sei nicht
apokalyptisch, sondern »längst Apocalypse Now«. Von der Politik erwartet der
Dirigent wenig, im Wahlrhythmus von vier Jahren gebe es nur noch Klein-Klein,
und der Wähler lasse die notwendigen Veränderungen nicht zu. Davon, dass die
einstige Klimakanzlerin Angela Merkel dieses Thema mittlerweile hintangestellt
hat, zeigt er sich enttäuscht. Auch von den Grünen hält er, der selbst einmal
als Grüner im Frack bezeichnet wurde, nicht viel. Nicht einmal ein Tempolimit
hätten die in ihrer Regierungszeit zuwege gebracht.* Dennoch ist er kein
Zyniker geworden, auch wenn er sich selbst einen schwermütigen Nihilisten
nennt. Er gefällt sich
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