Lohse, Eckart
in der Rolle des Sisyphos, der den Stein trotz besseren
Wissens immer wieder nach oben rollt. Enoch zu Guttenberg fordert Umdenken,
Verzicht, etwa auf absolute Mobilität. Sein Schloss beleuchtet er mit
Energiesparlampen, »auch wenn das Licht scheußlich ist«, alle Gebäude werden
mit Hackschnitzeln beheizt, das Haus in Neubeuern hat ein Solardach. Sein Audi
fährt mit Gas, und auf der Autobahn bleibt er »eisern unter 130«, auch wenn ihm
die Leute den Vogel zeigen. Flugzeugreisen in den Urlaub unternimmt er nicht
mehr.
Trotz aller Brüche mit den
Erwartungen der Familie, trotz des Ausscherens aus mancher Tradition ist Enoch
zu Guttenberg ein »Baron«, ein adliger Schlossherr geblieben. Das zeigt sich
an zwei Dingen, die von jeher zur adligen Lebenswelt gehörten - der Jagd und
der Bedeutung von Pferden. Die Jagd betrachtet der Adel als Naturbeherrschung.
Er habe dieses vielleicht älteste Handwerk des Menschen gelernt, als Jagd und
Natur- und Umweltschutz einander noch bedingten, sagt Guttenberg. Heute seien
Jagd und Naturschutz feindliche Geschwister geworden, weil Ideologen auf beiden
Seiten taub und blind für die gemeinsamen Pflichten seien.
Auch in seiner Begeisterung für
Pferde ist Enoch zu Guttenberg ganz Adliger. Schon als Kind ist er ein
Pferdenarr, später ein passionierter Springreiter; noch heute lässt er sich
morgens von einem Trainer beim Dressurreiten in der Reithalle »schleifen«. Vor
einigen Jahren hat er sich von einem Bauern beibringen lassen, wie man eine Pferdekutsche
lenkt. Seitdem fährt er oft mit der Kutsche durchs Dorf, fragt die Leute, an
denen er vorbeikommt, ob er sie mitnehmen könne. Die alten Leute im Ort duzen
Enoch zu Guttenberg. Er ist zwar »der Baron«, aber abgehoben will er nicht
sein. Und doch hebt diese menschliche Nähe nicht die Distanz, die unsichtbare
Schranke auf, die es zwischen den Leuten im Ort und den »Herrschaften« gibt.
Nicht nur in seinem Beruf als
Künstler und in seinen radikalen umweltpolitischen Ansichten, sondern auch in
anderer Hinsicht ist Enoch zu Guttenberg ein schwarzes Schaf in der Familie.
Denn er bekennt sich dazu, dass er seinen katholischen Glauben verloren habe,
als erwachsener Mann. Die Erfahrungen des jungen Enoch zu Guttenberg mit der
Kirche sind freilich nicht nur gut gewesen, in einem Fall sogar ausgesprochen
schlecht. Der Vater schickt den gerade 14 Jahre
alten Jungen im Sommer 1960 zu einem
Priester, den er, der Vater, sehr schätzt und der ihm den Glauben neu
nahegebracht hat. Deshalb gibt er den Jungen in die Obhut des Geistlichen. »Er
soll als Kind die Erfahrungen machen, denen ich erst jetzt begegnet bin«, sagt
er sich. Das Experiment scheitert. Was genau vorgefallen ist, sagt Enochs Vater
Karl Theodor zu Guttenberg in seinen Erinnerungen nicht. Doch was er schreibt,
legt die Vermutung nahe, dass der Priester den Jungen zumindest seelisch
misshandelt. Von der »Härte« des Priesters ist die Rede, davon, dass »es
lieblos und unbarmherzig ist, ein Kind seiner Familie, seinen Eltern und
Großeltern entfremden zu wollen«. Ein klärendes Gespräch mit dem Priester kommt
aber nicht zustande. Alles, was der Junge erzählt habe, sei »Lüge« gewesen,
»dämonische« Phantasie, schreibt der Priester in einem Brief. Enochs Vater
macht sich Vorwürfe, seinen Sohn einem Menschen ausgeliefert zu haben, dessen
wahre Natur er nicht erkannt habe.
Das Erlebnis bedeutet indes keinen
äußeren Bruch mit der Religion. Und auch heute hat Enoch zu Guttenberg diesen
Bruch nicht vollzogen. Er geht weiter sonntags mit den Kindern aus zweiter Ehe
in die Kirche, weil er findet, dass sie sich erst für oder gegen etwas
entscheiden können, wenn sie es kennen. Vor und nach dem Essen sprechen die
Jungen ein kurzes Tischgebet. Und er sagt Sätze wie: »Ich liebe die alte,
tridentinische Kirchenliturgie, und ich liebe das Evangelium. Es gibt keine
schönere Religion als das Christentum mit dem Gesetz der Liebe.« Doch sein
Gehirn, so sagt er weiter, sei »absolut atheistisch«, die Existenz Gottes
»halte ich für völlig ausgeschlossen«. Er leide allerdings unter diesem Verlust
des Glaubens. Wenn eine Fee käme, so sagt er, würde er sich wünschen, wieder
so glauben zu können, »wie ich es als Kind, sogar noch als junger Dirigent
getan habe«. Im Oktober 2010 führt
Enoch zu Guttenberg in der Vatikan-Aula Verdis »Requiem« vor Papst Benedikt
XVI. und den Teilnehmern der Nahost-Synode auf. Guttenberg hält eine kurze
Ansprache. Nicht alle auf der
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