Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Lola Bensky

Lola Bensky

Titel: Lola Bensky Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lily Brett
Vom Netzwerk:
Egos nicht ganz leicht zu lokalisieren.
    »Wenn ich auf der Bühne mein Ego abstreife, dann hört das Problem auf zu existieren, wenn ich die Bühne verlasse. Ich habe dann nicht mehr das Bedürfnis, mich zu beweisen.«
    Mick Jaggers Tutor hatte gesagt, er sei an der London School of Economics jederzeit wieder willkommen. Lola glaubte nicht, dass Mick Jagger dieses Angebot annehmen würde. »Wenn er geblieben wäre, hätte er sicher einen Abschluss gemacht«, hatte der Tutor hinzugefügt.
    Lola hatte an ihrer Highschool keinen Abschluss gemacht, einer Highschool für Hochbegabte. Sie war im letzten Jahr durchgefallen. Das heißt, sie war nicht wirklich durchgefallen, sie hatte nur zwei der Pflichtprüfungen nicht abgelegt. Stattdessen hatte sie sich den Film Psycho von Alfred Hitchcock angesehen. Und war dann schockiert gewesen, dass ihre Examensnummer fehlte, als die Liste derjenigen veröffentlicht wurde, die bestanden hatten.
    Edek sagte nicht viel zu Lolas fehlendem Abschluss, außer, zum wiederholten Male, dass sie eine bessere Anwältin geworden wäre als Perry Mason. Renia sagte überhaupt nichts. Schon das ganze Jahr über war Renia einzig und allein mit dem Gedanken beschäftigt gewesen, dass Lola zehn Kilo mehr wog, als Renia für richtig hielt. Anfang des Jahres hatte Renia Lola bei einem Schlankheitsprogramm angemeldet, wo ihr ein dickes, vibrierendes Gummiband um die Hüften geschnallt wurde und elektrischer Strom das Fett durchrüttelte. Nach acht Wochen hatte das vibrierende Gummiband es nicht geschafft, auch nur ein halbes Pfund von Lolas Hüften abzutragen. Nach der Hälfte des letzten Schuljahres hatte Renia Lolas Schlafanzüge und ihren Morgenmantel eingepackt und verkündet, dass sie sie für eine Woche in ein Krankenhaus einweisen würde. Lola verbrachte eine Woche im Royal Melbourne Hospital, wo sie sich einer Diät von täglich fünfhundert Kalorien unterzog. Die Mahlzeiten waren alle ohne Butter, ohne Öl, ohne Käse, ohne Toast, ohne Marmelade, ohne Sauce, wie in sauberer Handschrift auf dem Deckel zu lesen war. Auch Besuch war nicht erlaubt.
    Lola konnte sich nicht erinnern, wie sie diese sieben Tage überstanden hatte. Sie hatte keine Erinnerung daran, ob sie etwas gegessen hatte, keine Erinnerung, ob sie gelesen oder telefoniert hatte. Sie hatte keine Erinnerung daran, ob sie ge
duscht oder sich die Zähne geputzt hatte, herumgelaufen war oder mit irgendjemandem gesprochen hatte. Sie bekam keinen Besuch. Sie konnte sich nicht erinnern, dass Edek oder Renia sie besucht hätten.
    Woran sie sich erinnern konnte, war das Gefühl der Demütigung, als sie wieder in die Schule kam. Offenbar war der Schule mitgeteilt worden, dass Lola im Krankenhaus war, doch niemand wusste, warum. Jedem, der sie fragte, was passiert sei, erzählte Lola flüsternd, dass sie eine Rachenoperation gehabt habe und nicht sprechen könne. Wenngleich es überflüssig war, hielt Lola diese Scharade auch zu Hause aufrecht. Sie sprach kaum ein Wort. Renia fiel es überhaupt nicht auf – sie waren ohnehin keine Familie, in der viel geredet wurde.
    Außerdem erinnerte sich Lola, dass sie am Tag nach ihrer Entlassung aus dem Krankenhaus zwei Familientafeln Cadbury-Schokolade gegessen hatte. Im Krankenhaus hatte sie dreieinhalb Kilo abgenommen. Diese dreieinhalb Kilo blieben nicht lange verschwunden. Sie fanden ihren Weg zurück auf Lolas Hüften und Oberschenkel, als wären sie nie weg gewesen.
    Ein wiederkehrender Albtraum, der davon handelte, dass sie in die Schule zurückkehren und die Abschlussprüfung ablegen müsste, würde Lola noch jahrelang heimsuchen. Jahrzehntelang würde sie träumen, sie sei wieder in der Schule und in großen Schwierigkeiten. Noch ahnte sie davon nichts. Sie ahnte nicht, dass sie viele Jahre der Analyse unter anderem damit verbringen würde, herauszufinden, warum sie sich Psycho angesehen hatte, anstatt ihre Prüfungen abzulegen. Sie war zweiundsechzig, als sie eines Morgens aufwachte und feststellte, dass sie zu alt war, um noch mal zur Schule zu gehen.
    In Mick Jaggers Wohnung klingelte das Telefon. »Entschuldigst du mich kurz?«, sagte er, stand auf und ging ans
Telefon. Er hatte einen ganz normalen, schnellen Gang. Nirgends das geringste Anzeichen eines sexuell aufgeladenen Hüftschwungs. Er hüpfte auch nicht wie manchmal auf der Bühne. Er ging einfach. Er nahm den Hörer ab. »Ganz okay«, sagte er. »Nicht toll. Ich habe wenig geschlafen. Die Session war erst heute früh zu Ende. Sie

Weitere Kostenlose Bücher