Lola Bensky
schmetterte, dann hielt er plötzlich inne, sah Lola an und sagte: »Den besten Klang kriegst du mit Awaah.« Vielleicht sagte er auch »Uwuuh«. Lola hatte nicht die geringste Ahnung, was Awaah oder
Uwuuh bedeuten sollte. Sie war sich nicht sicher, ob er Englisch sprach. Es hätte auch Urdu sein können.
»Awaah, Awaah, das musst du doch kennen, du bist schließlich Australierin«, rief er. Lola dachte, dies sei vielleicht nicht der richtige Moment, um zu erwähnen, dass sie genau genommen nur halb australisch war. Vielleicht hatte sie, weil sie in einem Lager für Displaced Persons in Deutschland geboren wurde, irgendetwas grundsätzlich Australisches verpasst.
Awaah, wiederholte er immer wieder. Lola hatte keine Ahnung, was er damit sagen wollte. Pete Townshend wurde immer aufgeregter. Er stand auf und marschierte auf und ab. »Awaah«, rief er, »Awaah.«
Lola zermarterte sich das Gehirn. Sie hatte noch nie von Awaah gehört. Er sagte, es gäbe einen guten Sound. Das schloss die meisten Lebensmittel, Getränke und Pflanzen aus. Vielleicht war es ein Tier. In Australien gab es eine Menge Tiere mit seltsamen Namen.
Ungefähr zwanzig Minuten später hatte Pete Townshend sich beruhigt und befand sich mitten in einem Monolog über britische Musik, britische Mode und britische Identität, als Lola plötzlich ein Licht aufging. Sie sah ihn an. »Meinst du AWA ?«, fragte sie und artikulierte sorgfältig jeden einzelnen Buchstaben. »Amalgamated Wireless Australasia?«
Lolas Eltern hatten sich 1952 ein wunderschönes AWA -Radio gekauft. Lola hatte es sehr gefallen, mit seinen geschwungenen Linien und Knöpfen. Ab dem Alter von acht oder neun hatte sie samstagabends wie angewurzelt vor diesem AWA -Radio gesessen und sich das neueste Krimihörspiel angehört. Danach war sie zu verängstigt gewesen, um einzuschlafen.
»Awaah, genau, Awaah«, sagte Pete Townshend und sah sie
höhnisch an. Lola fand nicht, dass der Aussprachefehler, den er ihr unterstellte, ein derart höhnisches Gefeixe rechtfertigte. » AWA «, wiederholte sie. »Awaah«, rief er, »genau. Awaah.« Er bedachte sie mit einem verächtlichen Blick. »Das hättest du wissen müssen«, sagte er. Pete Townshend jammerte viel, und sein höhnisches Feixen schien ihm im Gesicht festgefroren zu sein.
Er jammerte über die Qualität der Popmusik. »Popmusik hat keine Qualität. Ich habe mir eine Stereoaufnahme der Beatles angehört, mit der Stimme auf der einen Seite und der Musik auf der anderen. Wenn man sich die Musikspur allein anhört, ohne ihre Stimmen, sind sie lausig.«
Lola sah ihn an. Seine Gesichtszüge schienen den Sog seiner Persönlichkeit zu spüren. Seine Nase hing tief herab, seine Augenwinkel wiesen nach unten, seine Mundwinkel ebenfalls. Sogar seine Ohrläppchen sahen missbilligend aus. »Guckst du auf meine Nase?«, fragte Pete Townshend.
»Nein«, sagte Lola. Sie hatte gelesen, dass Pete Townshend seit seiner Kindheit wegen seiner Nase gehänselt wurde.
»Meine Nase hat mich mein ganzes verdammtes Leben lang geärgert«, sagte er. »Ich habe Gitarre gespielt, um von meiner Nase abzulenken. Inzwischen macht sie mir nichts mehr aus. In Wirklichkeit denke ich kaum noch an sie.«
Er klang nicht so, als machte ihm seine Nase nichts mehr aus, dachte Lola.
»Man merkt ihm seine schlechte Laune stärker an als anderen Leuten«, sagte John Entwistle, der Bassist, zu Lola. Lola dachte, dass er wahrscheinlich versuchte, sie aufzumuntern.
»Neulich habe ich einen Journalisten sagen hören, dein sexuell aufgeladenes Hüftkreisen sei das Geheimnis deines Erfolgs«, sagte Lola zu Mick Jagger.
»Das ist großer Mist«, sagte er. »Es gibt kein Geheimnis des Erfolgs. Es geht nicht um ein Geheimnis. Es geht darum, sein Bestes zu geben, alles in eine Sache hineinzulegen und zu hoffen, dass es den Leuten gefällt. Die Leute müssen von dir erfahren, aber wenn sie einmal wissen, dass es dich gibt, können sie hören, was du anzubieten hast, und dann mögen sie es oder sie mögen es nicht. Das hat nichts mit einem Geheimnis zu tun.«
»Hältst du dich für einen großen Sänger?«, fragte Lola. Eigentlich hatte sie keine Ahnung, wer gut sang und wer nicht. Sie hörte nicht, ob ein Sänger den Ton traf. Trotz des jahrelang erzwungenen Klavierunterrichts war sie überhaupt nicht musikalisch. Wenn sie Platten besprach, reagierte sie mehr auf die Texte oder die Persönlichkeit des Sängers als auf die Musik.
»Bin ich ein großer Sänger?«, sagte Mick
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