Lola Bensky
über Kinder reden, setzen sie voraus, erzwungene Disziplin sei notwendig und gut«, sagte Paul Jones. »Und sie sagen solche Sachen wie, dass es Disziplin schon seit Jahrtausenden gäbe.« Zehn Minuten später seufzte er und sagte: »Wenn man wirklich etwas zum Ausdruck bringen möchte, braucht man für ein Thema wie Erziehung einen ganzen Tag, sonst gibt man nichts als Phrasen von sich.«
Lola sagte, dass sie nicht glaube, dass Rock-Out auf Diskussionen aus sei, die einen ganzen Tag dauerten, dass sie aber trotzdem hoffe, dass die Leute mehr als nur Phrasen wollten. Sie hatte Paul Jones gefragt, ob er 1962, als Brian Jones ihn fragte, ob er sich einer Band anschließen wolle, die er gerade gründete, nein gesagt habe, weil er in Oxford zuerst noch sein Examen machen wollte.
»Nein«, sagte er. »Ich hatte gerade als Sänger einer Tanzkapelle in Slough vorgesungen.«
Das war die Frage, die zu der Diskussion über Erziehung geführt hatte. Eigentlich hätte sie zu der Frage weiterführen sollen, ob er seine Entscheidung, sich Brian Jones nicht anzu
schließen, bereute, da aus dieser Gruppe später die Rolling Stones hervorgegangen waren.
»Es heißt immer, ich sei eingebildet, und vielleicht bin ich das auch«, hatte Paul Jones gesagt. »Ich bin selbstbewusst, und das kann einem den Ruf eintragen, man sei eingebildet. Wenn man mich fragt, wie die Show, der Film, die Plattenaufnahme läuft, antworte ich wahrheitsgemäß, ich halte nichts von falscher Bescheidenheit. Ich sage: Die Show läuft super für mich. Dann rennen sie los und sagen: Mein Gott, er hätte sagen sollen, wie zutiefst dankbar er ist. Wenn ich jemanden sagen höre, dass er zutiefst dankbar ist, dann weiß ich, er ist ein Heuchler. Aber im Showbusiness ist das so üblich.«
Paul Jones hatte gerade in einem Film namens Privilege neben Englands Topmodel Jean Shrimpton die zweite Hauptrolle gespielt. Lola fragte ihn, ob es ihm gefallen habe, mit Jean Shrimpton zusammenzuarbeiten.
»Sie ist ein sehr warmherziger, wunderbarer Mensch, und es war ein Vergnügen, mit ihr einen Film zu drehen«, sagte er. »Wir planen schon ein Follow-up mit Twiggy, das soll Underprivileged heißen.«
Lola brauchte einen Moment, um zu begreifen, was daran so komisch war, dann lachte sie. Es war seltsam erhebend, über jemanden zu lachen, der zu dünn war.
Lola wusste, dass Mike d'Abo Sohn eines Londoner Börsenmaklers war, auch wenn sie nicht wusste, was ein Börsenmakler eigentlich tat. Sie wusste, dass Börsenmakler meistens reich waren. Bei Rock-Out hatte sie mehrere Leserbriefe erhalten mit der Aufforderung, einen englischen Künstler um seinen Kommentar zu einigen australischen Platten zu bitten. Sie hatte fünf Platten mitgebracht, zu denen Mike d'Abo seine Meinung abgeben sollte.
Eine Stunde später dachte sie, dass sie wahrscheinlich nichts davon würde verwenden können. Es hatte mit einer ganz vielversprechenden Bemerkung zu »Spicks and Specks« von den Bee Gees angefangen. »Absolut erstklassig. Ein schöner Song«, sagte Mike d'Abo. Von da an ging es steil bergab. »Der Song hat natürlich seine Grenzen«, sagte er, »da er nur acht Takte lang ist und sich dann ständig wiederholt.«
Seine Kommentare zu den nächsten vier Platten reichten von »unglaublich langweilig« über »diabolischer Gesang« und »unglaubliche Stimme, leider wird es schnell langweilig, und der Song ist nicht sehr gut« bis zu: »Ich finde diesen Song richtig schlimm. Was er da singt, elevator , whiskey , waiter , decorator , commentator – ich finde, das ist obszön. Der Song ist wirklich widerlich.«
Lola dankte Mike d'Abo. Er wirkte ganz fröhlich, als hätte es ihm irgendwie Auftrieb verschafft, sich Platten anzuhören, die er furchtbar fand. Sie überlegte kurz, ob sie ihm noch ein paar Fragen zu seiner Person stellen sollte, entschied sich dann aber dagegen. Sie war müde. Sie begann, ihre Sachen zusammenzupacken, als eine ältere Frau hereinkam und sagte, vorne im Büro sei ein Anruf für sie.
Lola fragte sich, wer das sein könnte. Sie kannte sehr wenige Leute in London. Ihr fiel niemand ein, der wissen könnte, wo genau sie gerade war. Renia oder Edek konnten es nicht sein. Sie hatten kaum eine Vorstellung von dem, was sie machte, und schon gar keine davon, wo genau sie sich jeden Tag aufhielt. Vielleicht war es der australische Fotograf, mit dem sie zusammenarbeitete. Sie hatte ihm alle Informationen zu diesem Interview gegeben.
Sie nahm den Hörer. »Hallo«,
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