Lola Bensky
zwölf war, besuchten sie einmal im Monat um zwei Uhr nachmittags die Matinee im Melbourner Tivoli Theatre in der Bourke Street.
Das Programm setzte sich stets aus einer Mischung aus Sängern, Jongleuren, Zauberern, Tänzerinnen, Hypnotiseuren, Komikern und Stripperinnen zusammen. Und Lola und Edek saßen immer in der zweiten oder dritten Reihe. Schon der Duft des Theaters wirkte auf Lola belebend. Am liebsten wollte sie ganz in dem schweren Aroma aus dick aufgetragenem Make-up und hohen Absätzen aufgehen.
Wenn ein Hypnotiseur oder Zauberer einen Freiwilligen aus dem Publikum brauchte, war Edek der Erste, der aufsprang. Er lachte so sehr über die Komiker, dass diese immer für ihn spielten. Und den Tänzerinnen applaudierte er lauter als irgendjemand sonst.
Die Tänzerinnen tanzten nicht übermäßig viel. Sie trugen
schwer an ihren Federn und dem glitzernden Kopfschmuck, aber mindestens eine Nummer pro Vorführung war ein Cancan oder eine andere einstudierte Choreografie. Edek klatschte so heftig Beifall, dass Lola dachte, ihm müssten die Hände wehtun.
Von den Federn und dem Glitzer einmal abgesehen, trugen die Tänzerinnen elastische, fleischfarbene Netz-Leotards, in die ein perlenbesetztes Bikinihöschen und winzige, perlenbesetzte Käppchen eingewebt waren, die ihre Brustwarzen bedeckten.
Außerdem gab es Showgirls, die sich durch zwei Dinge von den Tänzerinnen unterschieden. Ihre Brustwarzen waren unbedeckt. Und sie rührten sich nicht. Die nackten Showgirls standen mucksmäuschenstill da. In Melbourne war es gesetzlich verboten, sich nackt auf der Bühne zu bewegen.
Lola wäre am liebsten eine der Tänzerinnen oder der Showgirls gewesen und damit Teil des Ganzen. Doch sie wusste, dafür würde sie kräftig abnehmen müssen und wäre wahrscheinlich ohnehin außerstande, die Federn und das Geglitzer auf ihrem Kopf zu balancieren.
Die Sänger, die im Tivoli auftraten, sahen nie so aus und klangen auch nie so, als wären sie gerade mit dem Flugzeug aus der Scala oder einem anderen weltberühmten Opernhaus eingeflogen worden. Meist handelte es sich um zart raunende Frauen. Eine der erfolgreichsten war Sabrina. Sie hauchte sich durch ihre Auftritte. Viel mehr brauchte sie auch nicht zu tun. Sabrina hatte eine Oberweite von hundertzehn, größtenteils unverhüllt, eine Vierzig-Zentimeter-Taille und Achtzig-Zentimeter-Hüften.
Lola hatte noch nie einen derart großen Busen gesehen. Sabrinas Oberweite wurde durch ihre Taille noch betont. Die war winzig.
»Sie ist sehr talentiert«, sagte Edek zu Lola, als Sabrina ihren Auftritt beendete.
»Sie hat sehr große Brüste«, sagte Lola.
»Das stimmt auch«, erwiderte Edek.
Sabrinas Talent war möglicherweise nicht wirklich auf die Probe gestellt worden, dachte Lola. Sie hatte Sabrina in dem Film »Blue Murder at Saint Trinian's« gesehen. Sabrina tauchte zwar auf den Filmplakaten auf, hatte aber keine Sprechrolle. Sie saß im Nachthemd im Bett und las ein Buch. Niemand hatte sie für einen Oscar nominiert.
In der Pause kaufte Edek immer zwei Eis, ein Schokoladeneis für sich und ein Vanilleeis für Lola, dazu ein Päckchen Fantales, das waren harte, mit Schokolade überzogene Karamellbonbons, auf deren Papier die Biografie eines Filmstars abgedruckt war.
Den ganzen Rückweg lang unterhielten sich Edek und Lola über die Show und verputzten die letzten Fantales. Dann parkte Edek vor dem Haus. Das war die Demarkationslinie. Sobald das Auto ordnungsgemäß abgestellt war, verstummte jedes Gespräch über Jongleure und Zauberer. Sie kamen nach Hause ohne einen Hinweis darauf, wo sie gewesen waren. Es gab weder verirrte Federn noch einen Hauch Parfüm. Renia fragte nie, wo sie gewesen waren und was sie gemacht hatten. Lola wünschte sich manchmal, Renia würde wenigstens ein einziges Mal mit ihr und Edek zusammen ausgehen. Vielleicht nicht gerade ins Tivoli, aber irgendwohin. Egal, wohin. Doch Renia kam nie mit. Außer zu einer Bar-Mitzwa, einer Hochzeit oder einem Geburtstag gingen sie nie zu dritt irgendwohin.
Lola war begeistert von den Shows im Tivoli. Sie war fasziniert von der Unterwasserstripperin, deren Auftritt Lola und Edek drei Mal sahen. Die Unterwasserstripperin hatte langes blondes Haar, das träge um ihren Kopf schwebte, während
sie in dem riesigen gläsernen Schwimmbecken auf der Bühne schwamm und sich dabei lasziv ihrer Kleidung entledigte. Sie schwamm mit weit geöffneten Augen und einem Lächeln auf dem Gesicht. Gelegentlich presste sie
Weitere Kostenlose Bücher