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Lola Bensky

Lola Bensky

Titel: Lola Bensky Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lily Brett
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näherbrachte. Warum dachte sie an Gott? Sie glaubte nicht an Gott. Und überhaupt: Wenn Mangel an Komfort eine Vorbedingung für Gottesnähe war, dann müssten ihre Eltern als Insassen eines Vernichtungslagers Gottes beste Freunde sein. Die anderen Bewohner des Horwood Hotels, eine bunt zusammengewürfelte Truppe mottenzerfressener Männer, sahen nicht so aus, als stünden sie Gott besonders nahe. Lola beschloss, sich Gott aus dem Kopf zu schlagen und so wenig Zeit wie möglich in ihrem Hotelzimmer zu verbringen.
    Lola ging gerade die MacDougal Street hinunter, als ihr auffiel, dass sie sich allmählich mit New York anfreundete. Sie spürte die intellektuelle Wucht der Stadt. Die Gespräche in den Cafés und Clubs drehten sich um Politik und Kunst. Niemand redete über die neueste Mode.
    New York war feurig. Die Stadt brannte vor Leidenschaft und Zielstrebigkeit. So gut wie nichts wurde aufgehübscht oder verschleiert. Die gelben Taxis, die durch die Straßen kreuzten, hatten häufig schon bessere Tage gesehen. Die meisten Sitzpolster waren durchgesessen und hart, und die Federung der Autos war selten in Ordnung.
    Die New Yorker fürchteten sich nicht vor ein paar harten Kanten und waren mit Sicherheit nicht zimperlich, wenn es darum ging, eine Meinung zu äußern oder eine Frage zu stellen. »Weshalb sind Sie so dick?«, hatte eine Frau auf der Fifth Avenue gestern zu Lola gesagt. Lola war entsetzt stehen geblieben. Sie suchte nach einer Antwort, die einigermaßen komplex war. Bevor sie noch den Mund aufbekam, sagte die Frau: »Sie essen zu viel.«
    »Sie haben recht«, sagte Lola und ging eilig weiter.
    »Sie haben ein hübsches Gesicht«, rief die Frau ihr hinterher.
    Lola versuchte, nicht mehr daran zu denken, dass eine völlig Fremde sich veranlasst gesehen hatte, ihr zu sagen, dass sie zu viel aß. Sie hätte der Frau vorschlagen sollen, mit Renia zu sprechen. Die beiden hätten eine sehr lange, befriedigende Unterhaltung miteinander führen können.
    Lola musste Bänder für ihr Aufnahmegerät kaufen. Sie hoffte, ein Interview mit Jim Morrison von The Doors zu bekommen. The Doors waren international noch nicht sehr bekannt, doch es wurde gemunkelt, dass es bald so weit sein würde.
    Lola hatte bereits mit den Young Rascals ein Interview vereinbart, deren Hit »How Can I Be Sure« sie für Rock-Out besprochen hatte. Sie war von der Ratlosigkeit des Titels sehr angetan und hatte die Platte in höchsten Tönen gelobt.
    Außerdem hatte sie ein Interview mit The Lovin' Spoonful organisiert, deren Hit »Did You Ever Have to Make Up Your Mind« Lola ebenfalls gut besprochen hatte. »Summer in the City«
von The Lovin' Spoonful schien derzeit ständig über den Äther zu laufen. »Hot town, summer in the city, back of my neck getting dirty and gritty« – der Text ergab jetzt noch viel mehr Sinn, da Lola in New York war.
    Es war heiß. Es war feucht. Und überfüllt. Die Hitze, die Feuchtigkeit und die Menschenmassen überzogen Downtown New York mit einer dünnen Schicht von etwas, das nicht gerade angenehm war. In Uptown war alles protzig und auf Hochglanz poliert, Downtown dagegen wirkte ein wenig matt und abgewetzt. Lola gefiel diese etwas heruntergekommene, halbtrübe Welt, in der ein Hauch von Kriminalität und einer anderen Zeit in der Luft lag.
    Es erinnerte sie auf seltsame Weise an die Welt jener Vaudeville-Shows, die sie früher mit Edek besucht hatte. Schon als sie klein gewesen war, hatte Edek am Samstagnachmittag mit ihr Ausflüge unternommen, damit Renia für ein paar
Stunden ihre Ruhe hatte. Manchmal ging Edek mit Lola in den Melbourner Zoo. Dort kaufte er ihr eine ganze Ticketschlange für Ritte auf dem Elefanten. Edek saß dann in der Rotunde und las seine Detektivromane, während Lola, die sich immer so nahe wie möglich an den Kopf des Elefanten setzte, Runde um Runde drehte. Dort oben auf dem Rücken des Elefanten, dessen Ohren direkt neben ihren Armen schlackerten, fühlte Lola sich wie auf dem Gipfel der Welt. Aus dieser Höhe sah alles so vielversprechend aus. Manchmal fand Lola Edek, der in der Fabrik in Doppelschichten arbeitete, hinterher tief und fest schlafend in der Rotunde vor.
    Hin und wieder war es langweilig, zum Beispiel wenn sie im Auftrag von Edeks Fabrik irgendwo weit draußen in den Vororten Lieferungen zu einem halben Dutzend Frauen brachten, die zu Hause saßen und im Akkord Säume nähten, Ärmel einfügten oder Kleidungsstücke mit Taschen versahen. Doch seit Lola elf oder

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