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Lola Bensky

Lola Bensky

Titel: Lola Bensky Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lily Brett
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wusste, dass Jim Morrison viel trank und dass er LSD einwarf. Lola war sich nicht sicher, warum es ›LSD einwerfen‹ statt ›LSD nehmen‹ hieß. Man warf ja auch kein Aspirin oder Antibiotikum ein.
    Jim Morrisons Sprache wurde noch schleppender. Es war
schwierig, nicht ungeduldig zu werden oder ein Stichwort zu geben, wenn die Pausen zwischen seinen Worten sich scheinbar endlos hinzogen. Der einzige Vorteil seines Schneckentempos war, dass sie sich ohne Schwierigkeiten Notizen machen konnte.
    »An Musik und Dichtung kann jeder teilhaben«, sagte er gerade. »Sie sind so natürlich wie das Spiel eines Kindes. Das ist es, was man mit seinem Leben anstellen sollte. Wenn mehr Leute spielen würden, würde alles wesentlich glatter laufen.«
    Wenn weniger Leute mit Steinen werfen würden, würde alles vielleicht noch glatter laufen, dachte Lola.
    Lola wusste nicht viel über Musik oder Dichtung. Bei ihr zu Hause gab es wenig Musik und keine Gedichtbände. Es gab überhaupt keine Bücher.
    Edek lieh sich seine Detektivromane in einer Bibliothek in der Innenstadt aus. Sein Englisch hatte er wohl hauptsächlich aus den Detektivgeschichten, dachte Lola. Edek kannte den Sprachgebrauch in den Obduktionslaboren und Polizeistationen der englischsprachigen Welt. Edek konnte über Brustaorten und Luftröhren und Brustbeine parlieren und darüber, wie man herausfand, ob ein Selbstmord durch Erhängen nur vorgetäuscht war.
    Linda Eastman war dazugekommen und stand jetzt hinter Lola. Sie fotografierte Jim Morrison. Er nahm keine Notiz von ihr.
    »Hast du Die Pforten der Wahrnehmung von Aldous Huxley gelesen?«, fragte Jim Morrison Lola.
    »Nein«, sagte Lola.
    »Das ist bedauerlich«, sagte Jim Morisson.
    Lola wusste, dass die Doors nach einer Gedichtzeile William Blakes benannt waren. If the doors of perception were cleansed everything would appear to man as it is: infinite.
    »Er futtert Acid wie Erdnüsse«, murmelte Linda Lola zu. »Und dazu tütenweise Gras.« Lola wusste, dass Linda nicht das Gras von der Wiese meinte. Alle redeten ständig von Marihuana und Gras. Derzeit kam es offenbar aus Mexiko.
    »Was ist dir außer Musik und Dichtung wichtig?«, fragte Lola Jim Morrison.
    »Kunst, Literatur, Philosophie«, sagte Jim Morrison. »Die Sache, die mein Leben wirklich verändert hat, als ich noch sehr jung war. Ich sah, wie eine Indianerfamilie über den Highway verstreut lag und verblutete. Überall war Blut. Blut auf dem ganzen Highway. Blut, Blut, Blut.« Das Wort hatte etwas sehr Bildhaftes, fand Lola. Jim Morrison wiederholte es noch mehrere Male.
    Blut war etwas, von dem auch Renia sprach. »Sie haben so viel Blut genommen«, sagte sie immer in ihren Selbstgesprächen. »So viel Blut. Sie haben es den Häftlingen nicht aus der Armvene entnommen, sondern direkt in die Halsschlagader geschnitten«, sagte sie dann und deutete auf ihren Hals. »Sie nahmen sich, so viel sie wollten, und dann ließen sie den Menschen sterben.« Manchmal fügte sie hinzu: »Das Blut war für das deutsche Heer bestimmt.« Lola wünschte sich, sie könnte sich mit Renia über normale Dinge unterhalten. Wenn das Gespräch schon von Blut handeln musste, hätten sie ja vielleicht über Menstruation sprechen können. Als Lola mit elf Jahren mit Blut in der Unterhose nach Hause kam, sagte Renia nur: »Du hast deine Periode.« Lola hatte geglaubt, dass diese Periode nur einmal passieren würde. Und war furchtbar erschrocken, als es einen Monat später wieder so weit war.
    »Als einer der Indianer starb«, sagte Jim Morrison, »ging seine Seele in meinen Körper über.«
    »Wie alt warst du damals?«, fragte Lola.
    »Ungefähr fünf«, sagte Jim Morrison. Lola wusste nicht,
warum sie Jim Morrison diese Frage gestellt hatte. Vielleicht, weil sie nicht wusste, was sie sonst sagen sollte.
    Lola glaubte eigentlich nicht, dass Seelen wandern konnten. Jedenfalls würden sie nicht auf die Idee kommen, ausgerechnet in Jim Morrisons Körper überzugehen. Konnten Seelen tatsächlich in fremden Menschen heimisch werden? Trug sie die Seelen anderer Menschen in sich? Die Seelen der Verwandten ihrer Mutter? Oder der Verwandten ihres Vaters? Sie glaubte es nicht. Jahrzehnte später würde sie sich nicht mehr so sicher sein.
    »Kommst du gut mit den anderen Bandmitgliedern aus?«, fragte sie Jim Morrison. Ihr war klar, dass das keine besonders geschmeidige Überleitung von der Geschichte des Indianers war, dessen Seele sich in Jim Morrisons Körper eingenistet

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