Lola Bensky
sie nicht im The Scene war. Max's Kansas City wurde von Malern, Bildhauern, Filmemachern, Musikern, Schriftstellern, Dichtern, Schauspielern, Modedesignern, Models und dem einen oder anderen Mitglied der besseren Gesellschaft frequentiert, gelegentlich sah man auch jemanden aus dem Kennedy-Clan. An dem Abend, als Andy Warhol Lolas mangelnde Großartigkeit ansprach, waren der Duke und die Duchess of Windsor da, beide sehr elegant gekleidet.
»Ich möchte Jim Morrison nicht vorgestellt werden«, sagte Lola.
»Du musst ihn kennenlernen«, sagte Lillian, »er wird riesengroß rauskommen. Verabrede ein Interview mit ihm. Er
macht seine PR selbst, also führe das Interview jetzt, wenn er einverstanden ist.«
»Jetzt?«, fragte Lola.
»Ja, jetzt«, sagte Lillian.
»Jim«, sagte Lillian, »ich möchte, dass du Lola Bensky kennenlernst. Lola ist eine von Australiens besten Journalistinnen. Ihre Storys werden landauf, landab gelesen, und sie ist eine fabelhafte Autorin. Sie hat schon Mick Jagger, Paul McCartney und viele andere interviewt.«
»Ich habe Paul McCartney nicht interviewt«, sagte Lola zu Lillian. Lillian stieß ihr den Ellbogen in die Seite. »Ich habe mit ihm Tee getrunken«, sagte Lola. »Er hat mir erzählt, dass seine Mutter starb, als er vierzehn war. Ich sagte, meine Mutter habe ihre Eltern mit siebzehn verloren, und ihre Brüder und Schwestern drei oder vier Jahre später. Er sagte, das Wort Verlust sei in diesem Zusammenhang Quatsch. Ich sagte, völlig richtig. Man kann Socken und Schirme und sogar Unterhosen verlieren, aber man kann nicht seine Mutter oder seinen Vater verlieren.« Jim Morrison gönnte Lola kaum einen Blick. Aus der Nähe hatte sein Gesicht etwas Pausbäckiges, das bei einem anderen vielleicht unschuldig gewirkt hätte, ihm aber etwas Bösartiges verlieh.
Lillian erspähte Paul Newman und ging zu ihm, um sich mit ihm zu unterhalten. Lola blieb neben Jim Morrison zurück und wusste nicht, was sie tun oder sagen sollte. Sie hätte sich tausendmal lieber mit Paul Newman unterhalten.
»Können wir ein Interview vereinbaren?«, fragte Lola Jim Morrison.
»Warum sollten wir das tun?«, fragte Jim Morrison.
»Weil ich glaube, dass du bald sehr, sehr berühmt sein wirst, und mein Beruf ist es, über berühmte Rockstars zu schreiben«, sagte Lola. Sie fand, dass das eine ziemlich lahme
Antwort war, und versuchte gerade, sich eine bessere einfallen zu lassen, als Jim Morrison sagte: »Heutzutage muss man in den Vereinigten Staaten Politiker oder Attentäter sein, um zum Superstar zu werden.« Er sprach sehr langsam, als wäre jedes Wort mit einer Bedeutung beladen, die erst verdaut werden musste.
»Setz dich«, sagte er zu Lola.
»Hier?«, fragte sie.
»Ja«, sagte er.
»Jetzt?«, fragte sie.
»Ja, jetzt«, sagte er.
Lola nahm ihren Stuhl und zog ihr Notizbuch heraus. Hat etwas Verdrossenes und brutal Rücksichtsloses an sich, hatte sie während seines Auftritts in ihr Notizbuch geschrieben. Sie blätterte rasch weiter, obwohl sie dachte, dass er wahrscheinlich erfreut wäre über diese Beschreibung.
Lola wusste, dass Jim Morrison in Melbourne, Florida, geboren wurde. Sie hatte nicht gewusst, dass es in Florida ein Melbourne gab. Sie hatte gedacht, dass sie im einzigen Melbourne lebte, das es gab. Sie glaubte nicht, dass sie die Melbourne-Verbindung erwähnen würde. Es schien nicht die Art von Verbindung zu sein, für die Jim Morrison empfänglich war.
Jim Morrison strahlt eine sorgfältig bemessene Gleichgütigkeit aus, dachte Lola. Trotz der Weltverdrossenheit seiner Gesten und seiner Haltung war Jim Morrison nur drei Jahre älter als Lola. Sie wusste, dass Jim Morrison nicht gut mit seinen Eltern zurechtkam. Jims Vater war ein hochdekorierter Marineoffizier. In seiner offiziellen Vita hatte Jim Morrison seine Eltern für tot erklärt. Lola wusste, dass sie nicht tot waren.
»Du siehst aus, als würde dich vieles nerven«, sagte Lola zu Jim Morrison. O Gott, dachte sie, das hatte sie nicht sagen wollen. Sie hatte keine Fragen vorbereitet.
»Mich nervt tatsächlich vieles«, sagte Jim Morrison. »Mich nervt tatsächlich vieles.« Er sprach sehr langsam, als trügen die Wörter und die Pausen zwischen ihnen die Last vielfältiger Bedeutungen. Das war ein ziemlich eindeutiger Satz. Lola dachte, dass es vermutlich nicht unbegrenzt viele Möglichkeiten gab, ihn auszulegen.
»Was zum Beispiel?«, fragte Lola.
»Ich hasse es, wenn jemand schwer atmet«, sagte er. »Besonders wenn
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