Lola Bensky
waren zu laut. Zu emotional. Und den Church-of-England-Leuten gegenüber zu unterwürfig. Auf Seiten der Juden gab es ein großes Geküsse. Zu viel für die Nicht-Juden.
Mehrere Juden sprachen Renia und Edek ihr Beileid aus,
weil ihre Tochter nach draußen heiratete. Renia und Edek wischten die Beileidsbekundungen beiseite. Sie wirkten beide nicht, als machte es ihnen wirklich etwas aus. Renia schüttelte den Kopf, wenn jemand es erwähnte. Wesentlich mehr Kopfzerbrechen schien ihr der Gedanke zu bereiten, dass Lolas Hochzeitskleid schon jetzt ein wenig zu eng zu sitzen schien.
»Hast du zugenommen?«, fragte Renia Lola, als sie den Festsaal betraten. »Ich weiß es nicht«, antwortete Lola. Beinahe hätte sie zurückgefragt: »Seit wann?« Doch ihr war klar, dass ihre Mutter ganz genau wusste, wie lange es her war, seit Lola das Kleid hatte schneidern lassen.
Jeder auf der Hochzeit, Juden wie Nicht-Juden, sagte Lola, wie schön ihre Mutter aussehe. Renia trug ein ärmelloses, besticktes Kleid aus schimmernder, cremefarbener Seide. Hinten hatte es einen großen kreisförmigen Ausschnitt, der einen Großteil von Renias Rücken freigab. Lola vermutete, dass ihre Mutter einen ihrer zahlreichen trägerlosen oder rückenfreien BH s trug. Lolas rotbraunes samtenes Hochzeitskleid verhüllte Lola von Kopf bis Fuß.
Renia sah blendend aus mit ihren großen Augen, ihren hohen Wangenknochen, dem toupierten Haar und der schimmernden, sonnengebräunten Haut. Sie sah aus wie eine Kombination aus Sophia Loren und Gina Lollobrigida, den beiden Frauen auf der Welt, denen sie am meisten gleichen wollte.
Edek versuchte, dafür zu sorgen, dass die Gäste sich vermischten. Es war ein aussichtsloses Unterfangen. Später sah Lola, wie Edek sich mit einer schokoladenüberzogenen Waffel tröstete, die er wohl von zu Hause mitgebracht hatte. Als er mit der Waffel fertig war, hielt er seine Rede.
Das Church-of-England-Kontingent verstand kein Wort von dem, was Edek sagte. Im Bemühen um angemessene
Förmlichkeit war ihm ein Großteil seines ohnehin wackligen Englisch verlorengegangen.
Lola dachte, die Rede ihres neuen Schwiegervaters würde nie ein Ende nehmen. Den meisten Gästen erging es ebenso, vor allem den Juden. Auf ihren Gesichtern lag ein ängstlicher Ausdruck intensiver Konzentration, während Jack Weldon Worthington Senior schwadronierte, dozierte und zitierte.
Lola begann über ihre Haare nachzudenken. Sie hätte keinen Talkumpuder in ihr Haar geben sollen. Das war wirklich dumm, sich an seinem Hochzeitstag Talkumpuder ins Haar zu massieren. Als Lola wieder aus ihrem Talkum-Tagtraum auftauchte, war Jack Weldon Worthington Senior so richtig in Fahrt.
»Bei der Ehe handelt es sich um ein Übel, das von den meisten Männern willkommen geheißen wird«, sagte er gerade. »Und wie ein altes Sprichwort so schön sagt: Halte deine Augen weit offen, ehe du heiratest, und halb geschlossen danach.« Er räusperte sich. »Nun, unser Sohn hatte sicherlich ein As im Ärmel«, sagte er. Unter den Juden entstand ein verwirrtes Geraune. Selbst Lola, deren Englisch seit frühester Kindheit von ihren Eltern und deren Freunden gelobt worden war, wusste nicht, was für ein As Jack Weldon Worthington Senior meinte. Edek, ein versierter Kartenspieler, nickte und sagte: »Ja, das ist immer gut, so ein As zu haben.« Er beugte sich zu Renia hinüber und fügte flüsternd hinzu: »Aber nicht unbedingt im Ärmel.«
»Wir können uns keinen Reim darauf machen«, sagte Jack Weldon Worthington Senior lächelnd, »doch andererseits gibt es keine Faustregel.«
»Er ret far fayer un far vaser«, hörte Lola Mr. Dunov zu Mr. Pincus sagen. Er redet wie ein Wasserfall. »Wenn sie sein Gehirn einem Huhn einpflanzen würden, würde es direkt
zum Schlachter rennen.« Auf Jiddisch hatte dieser Ausspruch sogar noch mehr Schmiss. Lola musste sich beherrschen, um nicht loszulachen.
Jack Weldon Worthington Senior setzte sich. Es herrschte Schweigen. Edek fing an zu klatschen, und die übrigen Gäste fielen ein. Edek führte Lola und Mr. Ex-Rockstar in die Mitte des Saals. Sämtliche fünf Mitglieder der Chaim Rappaport Big Band begannen ein Lied zu singen mit dem Titel »Chossn Kalah Mazel Tov«. Der Text, chossn kalah mazel tov, Bräutigam, Braut, Glückwunsch, wurde öfter wiederholt.
Lola hatte »Chossn Kalah Mazel Tov« auf so und so vielen jüdischen Hochzeiten gehört. Oft brachte es sie den Tränen nahe. Wahrscheinlich wegen der hohen Hoffnungen, die
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