Lola Bensky
ich schlafen möchte.«
Das klang nachvollziehbar. Lola hatte selbst einen sehr leichten Schlaf und wachte beim geringsten Geräusch auf. Sie dachte, dass es wahrscheinlich etwas damit zu tun hatte, dass Renia regelmäßig schreiend aus dem Schlaf hochfuhr und Lola und Edek ihr versichern mussten, dass sie nur geträumt hatte, bevor sie alle weiterschlafen konnten.
»Mein Bruder hatte eine chronische Mandelentzündung«, sagte Jim Morrison. »Sein Atem war sehr laut. Ein paarmal habe ich ihm im Schlaf den Mund zugeklebt. Er wachte immer auf und schnappte nach Luft.« Bei der Erinnerung daran fing Jim Morrison an zu lachen. Es handelte sich eindeutig um eine Erinnerung, die ihn amüsierte. Lola beobachtete ihn, während er lachte. Selbst sein Lachen hatte etwas Grausames, beinahe Raubtierhaftes.
»Ich habe auch Steine nach ihm geworfen«, sagte Jim Morrison.
»Warum?«, fragte Lola.
»Zum Spaß«, sagte Jim Morrison. »Einmal habe ich ihm Hundescheiße ins Gesicht geschmiert. Schöne frische Hundescheiße.«
»War das auch lustig?«, fragte Lola.
»Natürlich«, sagte Jim Morrison. »Findest du das nicht lustig?«
»Überhaupt nicht«, sagte Lola. Sie war irritiert und verstört. Sie nahm an, dass Jim Morrison ihr Unbehagen genoss.
»Warum bist du so wütend?«, fragte sie Jim Morrison.
»Ich bin nicht wütend«, sagte er. »Es gibt einfach ein paar Leute, die ich hasse.«
»Wen zum Beispiel?«, fragte sie ihn.
»Meine Mutter«, sagte er. »Meinen Bruder.«
Er musterte Lola ein paar Sekunden lang. »Du liebst deine Eltern wahrscheinlich«, sagte er mit einem Grinsen, hinter dem ein Feixen lauerte.
»Ja, ich denke schon«, sagte sie. »Liebst du jemanden?«
»Nein, nicht einmal mich selbst«, sagte Jim Morrison. »Ich liebe Gedichte. Und Satan.«
Lola sah ihn an. Wie konnte er Satan lieben? Satan war ein Konzept des Bösen, der Dunkelheit und Zerstörung. Vielleicht sah er sich selbst als Verkörperung Satans? Als einen Widersacher. Jemand, der gegen jeden war.
»Mein Vater war Kapitän des größten Flugzeugträgers der Welt«, sagte Jim Morrison. »Er hatte das Kommando über dreitausend Männer, aber bei uns zu Hause führte meine Mutter das große Wort. Sie schrie ihn an. Sie sagte zu ihm, er solle den Müll rausbringen. Und er tat es. Er brachte den Müll raus.«
»Er ist sehr launisch«, hatte Linda Eastman über Jim Morrison gesagt. Launisch? Launisch wäre in Ordnung gewesen. Mit Launenhaftigkeit konnte Lola umgehen. Das hier war etwas anderes. Mit gereizten Bewegungen fing Jim Morrison an, sein Hemd aufzuknöpfen. Er sah aus, als wollte er nicht nur seine Kleidung ablegen, sondern am liebsten gleich seine Haut abstreifen. Er kratzte auf seinem Hemd herum. Als wollte er eine Stelle erreichen, an die er nicht herankam.
Auf der anderen Seite des Clubs sah Lola Lillian. Sie un
terhielt sich immer noch mit Paul Newman. Es sah aus, als wären sie beste Freunde. Sie hätte sich gerne zu ihnen gesellt.
»Du magst mich nicht, oder?«, fragte Jim Morrison Lola.
»Nicht wirklich«, sagte sie und überraschte sich selbst damit. »Aber ich glaube, dass du sehr erfolgreich sein wirst.«
Sie fühlte sich ein bisschen mies. Vielleicht hätte sie einfach sagen sollen: »Natürlich mag ich dich.« Sie dachte, dass Lillian recht hatte. Jim Morrison würde groß rauskommen.
Zwei Monate später war »Light My Fire« auf Platz eins der Charts und verkaufte über eine Million Platten. Jim Morrisons Mutter machte ihn in New York ausfindig. Sie rief ihn an und bat ihn, an Thanksgiving nach Hause zu kommen. »Ich bin ziemlich beschäftigt«, sagte er. Dann sagte er noch, vielleicht würden sie sich ja bei seinem Auftritt in Washington sehen, wo seine Eltern inzwischen lebten. »Könntest du deiner Mutter einen großen Gefallen tun und dir die Haare schneiden lassen?«, sagte sie zu ihm.
»Ich will nie wieder mit ihr reden«, hörten andere, die mit ihm im Zimmer waren, ihn sagen, als er den Hörer auflegte.
Jim Morrisons Mutter und sein Bruder kamen zu seinem Konzert in Washington. Er ging beiden aus dem Weg. Von der Bühne herunter schrie er: »Mutter, ich will dich ficken«, und sah seine Mutter ausdruckslos an. Jim Morrison wäre kein guter Kandidat für ihre »Wie ich es sehe«-Kolumne, dachte Lola.
Allmählich wurde es heiß. Der Club war immer noch überfüllt. Jim Morrison winkte dem Kellner, der in der Nähe stand. Der Kellner schien bereits zu wissen, was er wollte, und brachte ihm zwei Gläser. Lola
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