London Killing - Harris, O: London Killing - Belsey Bottoms Out
gelegentlich die Rampe hinunterrollten.
»Ich habe hier was, was dringend untersucht werden müsste.«
Der Wachmann schaute ihn an. Auf einem Schild stand »Willkommen im Central Forensic Command« und darunter »Unsere Grundsätze«.
»Ich muss unbedingt mit einem Labortechniker von der Nachtschicht sprechen«, sagte Belsey. »Es geht um den Fall Jessica Holden.«
Das wirkte, der Wachmann griff zum Telefon. Kurz darauf erschien die Kriminaltechnikerin Isha Sharvani. Belsey freute sich über das vertraute Gesicht.
»Nick«, sagte sie.
»Isha. Die haben mich mit einer dringenden Sache hergeschickt. Ist nicht gerade nach Vorschrift, ich weiß. Würdest du trotzdem mal einen Blick draufwerfen?«
Sie schaute mit zweifelndem, fast angewidertem Blick die Gefrierbeutel an.
»Welcher Fall?«
»Die Starbucks-Schießerei. Schau nur kurz drauf, ob die beiden Proben von derselben Person stammen. Ruf mich im Revier an, in Hampstead. Die Nummer hast du ja.«
»Nick Belsey.« Sie schloss verzweifelt die Augen, aber er wusste, dass sie ihm helfen würde.
Belsey hatte Isha Sharvani am 8. Juli 2005 kennengelernt. Am Morgen zuvor war er bei einer Drogenrazzia in einer Crackhöhle in der Adelaide Road gewesen, wo er gerade eine Frau mit Handschellen an ein Waschbecken gefesselt hatte. Sie wussten, dass irgendetwas Großes passiert sein musste, weil zehn Minuten lang Streifenwagen und alle Arten von Notfallwagen mit heulenden Sirenen durch Camden Richtung Innenstadt rasten – was zur morgendlichen Stoßzeit ziemlich ungewöhnlich war. Und es kamen immer mehr, was hieß, sie kamen auch aus benachbarten Stadtbezirken. Belseys Team hatte für die Dauer der Razzia die Funkverbindung unterbrochen. Als sie ihre Geräte einschalteten, hörten sie, dass Einsatzbefehle zum Russell Square und nach Kings Cross und schließlich an alle Einheiten zum Tavistock Square durchgegeben wurden. Und dann kippte die Welt in Alarmstufe Rot.
Sie wussten, was zu tun war. Seit zwei Jahren waren sie in Übungen darauf gedrillt worden. Die Cracksüchtigen erhielten eine kurze Gnadenfrist. Plötzlich war Kriminalität etwas Beruhigendes, Teil einer Alltagsroutine, die von einem grelleren Licht überblendet wurde.
Alle Einheiten in die Innenstadt.
Am nächsten Morgen klingelten er und Sharvani bei aus gesuchten Mitgliedern der pakistanischen Gemeinde Camdens, sammelten Faserproben von Kleidungsstücken und brachten sie zur Auswertung ins Counter Terrorism Command, die Abteilung der Metropolitan Police, die auf Terrorismusbekämpfung spezialisiert ist. Die Bosse hatten angeordnet, dass er irgendeinen Asia ten, vorzugsweise einen Moslem, mitnehmen sollte. Dass Sharvani Inderin war und Hindu, schien sie nicht zu stören. Es waren seltsame Wochen. In der Moschee am Regents Park knüpfte er neue Kontakte, zu Männern, die Platon und Nietzsche so gut kannten wie den Koran und auch gern darüber diskutierten. Außerdem entdeckte er durch eine Gruppe bengalischer Teenager in Hydrokulturen gezogenes Gras und freundete sich mit Sharvani an. Er hatte viel Zeit im Command verbracht. Heute war er zum ersten Mal seit damals wieder hier.
Er wollte seine Neugier begraben. Oder noch besser: sie an jemand anders weiterreichen. Sollte doch jemand anders den Blutflecken in der Bishops Avenue auf den Grund gehen. Er wünschte, er könnte das forensische Prozedere beschleunigen, wünschte, er hätte ein Team, das die nötige Arbeit erledigte, um festzustellen, wer in Devereux’ Haus gewesen war.
Unter den flimmernden Straßenlampen tauchte das ver traute Durcheinander verlassener Marktstände hinter der Water loo Station auf. Das Geld brannte ihm ein Loch in die Jacke, er musste zurück nach Hampstead, um es loszuwerden. Aber er war am Verhungern. Er ging in ein billiges Lokal in der Lower Marsh Street. Taxifahrer, Straßenkehrer und Parkwächter tranken im Mief des Cafés ihr Feierabendbier, rieben sich die durchgefrorenen Hände, versuchten ihr Glück mit Rubbellosen und warfen hin und wieder einen Blick auf den alten Fernseher.
Die Nachrichten schlossen mit Bildern von einem aus einem Krankenhaus humpelnden Fußballer und wandten sich dann wieder dem Haupthema des Abends zu. Die im Café versammelten Arbeiter schienen sich auf Anhieb in Jessicas Eltern hineinversetzen zu können. Sie sagten, sie wollten nur eins wissen: Warum? Wer hatte ihnen ihre schöne Tochter genommen? Belsey hatte das schon hundertmal erlebt: In ihrem Kummer wollten sie unbedingt Gewissheit. Er
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