London NW: Roman (German Edition)
offen. Rote Sohlen von oben bis unten. Über dem Bett hing der allzu vertraute Tube-Plan, bei dem die einzelnen Stationen durch Ikonen des vergangenen Jahrtausends ersetzt und zu Gruppen und Bewegungen zusammengefasst sind. Natalie suchte nach Kilburn: Pelé. Auf dem Bett spielte ein iPad Porno-Videos, Dreier, und hier bekam Natalie diese technologische Errungenschaft zum ersten Mal zu sehen. Zwei Frauen leckten sich gegenseitig, ein Mann saß auf dem Tisch, seinen Schwanz in der Hand. Es waren alles Deutsche.
Die schöne Afrikanerin redete ununterbrochen. Wo kommst du her? Studierst du noch? Was willst du mal werden? Du darfst niemals aufgeben. Man muss große Träume haben. Ambitionen. Man muss engagiert arbeiten. Sich nie mit einem Nein zufriedengeben. Alles sein, was man sein möchte.
Je länger Natalie Blake dort stand, voll bekleidet und teilnahmslos, desto nervöser wurden die beiden, desto mehr redeten sie. Schließlich fragte Natalie, wo das Bad sei. Vom Zimmer aus zugänglich. Sie stieg in eine aufgearbeitete viktorianische Badewanne mit Messing- und Porzellanarmaturen von The Water Monopoly. Sie wusste, dass sie hier durch war. Sie lehnte sich zurück. Acqua di Parma. Chanel. Molton Brown. Marc Jacobs. Tommy Hilfiger. Prada. Gucci.
181. Osterferien
Anna war für ein paar Tage nach Polen gefahren, um ihre Eltern zu besuchen, und jetzt kam sie wegen des Vulkans nicht mehr zurück. Natalie googlete. Starrte auf die riesige Aschewolke.
»Du bist flexibler als ich«, erklärte Frank und verließ das Haus. Der Keller war wieder aktuell. Überall wimmelte es von Handwerkern. Frank hatte hart dafür gearbeitet, alles wieder ins Lot zu bringen. Sie hatten beide hart gearbeitet. Sie hatten sich alles verdient, was ihnen gegeben wurde.
Ham Se noch ’n bisschen Tee, Kindchen? Schaffen Se lieber mal die Kleinen weg, sonst passiert denen noch was. Se ham nicht zufällig irgendwo ’n paar Kekse rumliegen?
Um zehn Uhr vormittags fand sie sich in einer weiß gestrichenen Zelle wieder, zusammen mit zwei rätselhaften schwarzäugigen Fremden, die offenbar etwas von ihr wollten, was sie aber beim besten Willen nicht verstand und auch nicht leisten konnte. Männer in orangefarbenen Westen gingen ein und aus. Die Milch ist sauer, Kindchen. Ham Se vielleicht Marmelade? Sie raffte die Kinder zusammen und verließ diese Baustelle, ihre Küche. Sie ging mit ihnen ihre Mutter besuchen. In den Park. In den Zoo. Auf den Markt in Kilburn. In den Afrika-Laden. Zum Toys R U s in Cricklewood. Nach Hause.
Als ihr Vater wiederkam, berichtete Naomi ihm sehr viel detailreicher von dieser Odyssee.
»Du bist der Wahnsinn«, sagte Frank und küsste Natalie Blake auf die Wange. »Ich hätte wahrscheinlich wieder nur Zeit verplempert und den ganzen Tag mit ihnen gespielt.«
182. Liebe in Ruinen
Es waren nette junge Männer, merklich überrascht, dass überhaupt jemand auf ihr Ansinnen reagierte. Natalie war überzeugt, dass sie die Anzeige betrunken gepostet hatten. Cousins? Brüder? Eine Doppelhaushälfte aus den Fünfzigern in Wembley, Blick auf die North Circular, schallgedämmt bis zum Abwinken. Ein Einfamilienhaus, dem die Familie fehlte. Früher auf der Brayton nannten sie so was »Herrenhaus für Arme«. Natalie Blake hätte nicht erklären können, warum sie so sicher war, dass sie ihr nichts tun würden. Sie musste sich eingestehen, absolut irrational daran zu glauben, dass Mordabsichten etwas waren, was man Leuten »einfach anmerkte«. Sicherlich half es auch, dass die zwei noch viel verängstigter aussahen als sie, als sie ihr öffneten. Ach du Schande! Ich hab’s dir doch gesagt, Dinesh. Hab ich’s dir nicht gesagt? Ich hab dir gesagt, das ist kein Kerl. Komm rein, Süße. Komm rein, Keisha. Ach du Schande! Du bist ja richtig geil und so. Wozu sagst du das denn jetzt! Wieso denn nicht? Sie weiß doch Bescheid und wir auch. Sie weiß Bescheid und wir auch. Nix dabei. Ach du Schande! Hier lang, Süße. Wir tun dir nichts, ja, wir sind nett. Im Ernst, das glaubt uns doch kein Mensch, Mann. Ich glaub’s ja selber nicht. Hier rein. Sollen wir uns abwechseln oder was? Was? Ich will dich doch nicht nackt sehen, bruv! Was ’n das für ’n schwuler Scheiß? Ja, aber sie will doch ’ne Doppelnummer schieben, oder! Das heißt nicht einer nach dem andern! Das heißt beide situ – silu – simu – gleichzeitig halt. Weißt du nicht, was Doppelnummer heißt, bruv? Doppelnummer halt. Du weißt ja gar nicht, wovon du redest.
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