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London NW: Roman (German Edition)

London NW: Roman (German Edition)

Titel: London NW: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Zadie Smith
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geschah, seit die Brücke erbaut worden war. Doch jetzt, in diesem Augenblick, war niemand mehr übrig, das zu tun.
    Keisha, langsam wird’s kalt hier oben. Ich brauch ’n bisschen Wärme. Komm schon, Mann. Sei nicht mehr sauer, Keisha. Red noch ’n bisschen mit mir. Komm da runter.
    Sie beugte sich vor und stützte die Hände auf die Knie. Sie bebte vor Lachen. Als sie aufsah, musterte Nathan sie stirnrunzelnd.
    Pass auf, mir reicht’s. Ich muss weiter. Echt scheißanstrengend mit dir. Kommst du jetzt mit oder was? Fragte Nathan Bogle.
    Leb wohl, Nathan. Sagte Natalie Blake.
    Sie sah den Nachtbus die Straße hochkommen und wünschte, sie hätte Geld dabei. Sie wusste nicht, was genau gerettet worden war, und auch nicht, von wem.

Heimsuchung

 
     
    Die Frau war nackt, der Mann angezogen. Es war der Frau nicht klar gewesen, dass der Mann Termine hatte. Draußen vor dem Fenster testete ein Karnevalswagen seine Lautsprecheranlage, irgendwo im Westen, in Kensal Rise. Nach ein paar Takten brach die Musik ab und wurde vom Dudeln eines vorbeifahrenden Eiswagens ersetzt. Here we go round the mulberry bush. Die Frau setzte sich auf und schaute nach dem Brief, den sie in den frühen Morgenstunden auf die Bettseite des Mannes gelegt hatte. Es hatte sie einen ganzen Tag und den größten Teil der Nacht gekostet, ihre »Gedanken zu ordnen«. Schließlich, als es Montag wurde, hatte sie die Gummierung des weißen Umschlags angeleckt und ihn auf sein Kissen gelegt. Er hatte ihn ungeöffnet auf den Stuhl verfrachtet. Jetzt sah sie zu, wie ihr Mann die Füße in zwei edle italienische Collegeschuhe schob und sich eine Baseballkappe tief über die Locken zog. »Willst du ihn nicht aufmachen?«, fragte Natalie. »Ich muss los«, sagte Frank. Die Frau erhob sich in flehentlicher Pose auf die Knie. Sie konnte es kaum fassen, dass sie sich beim Aufwachen immer noch in derselben Lage befand wie gestern und wie vorgestern, dass der Schlaf es nicht einfach beseitigte. Dass sie sich auch morgen noch in derselben Lage befinden würde. Dass das jetzt ihr Leben war. Zwei schweigende Feinde, die die Kinder zu ihren gesellschaftlichen Verpflichtungen begleiteten. »Ich bin jetzt ein paar Stunden weg«, sagte der Mann. »Wenn ich wiederkomme, nehme ich die Kinder bis sieben. Du solltest zusehen, dass du woanders unterkommst.« Die Frau griff nach dem Umschlag und hielt ihn dem Mann hin. »Nimm ihn doch wenigstens mit, Frank.« Der Mann zog ein schmales Bändchen aus dem Bücherregal – sie war nicht schnell genug, um zu sehen, was es war – und schob es sich in die Gesäßtasche. »Beichten ist Eigennutz«, sagte er. Er ging aus dem Zimmer. Sie hörte, wie er die Treppe hinunterging, im zweiten Stock kurz stehen blieb. Ein paar Minuten später schlug die Haustür zu.
     
    Es galt, zwischen Stillstand und Antrieb zu wählen. Sie zog sich rasch an, effektvoll in Hellblau und Weiß, und eilte die erste Treppe hinunter. Ihre Kinder erwarteten sie im Flur. Naomi stand auf einer umgedrehten Kiste. Spike lag bäuchlings auf dem Boden. Beide waren silbern. Silberne Gesichter, silbern besprühte Kleider, Hüte aus Alufolie. Natalie konnte nicht sagen, ob das die Folge eines dramatischen Ereignisses war, irgendein Spiel oder etwas ganz anderes.
    »Wo ist Maria?«, fragte sie, beantwortete sich ihre Frage dann aber selbst: »Bank Holiday. Sie hat frei. Warum seht ihr so aus?«
    »Es ist Karneval!«
    »Schon wieder? Wer hat denn was von beiden Tagen gesagt?«
    »Ich bin ein Roboter. Es gibt einen Wettbewerb. Maria hat die Kleider genäht. Und wir haben die Hüte gefaltet.«
    »Auch Roboter.«
    »Nein! Spike ist ein Roboter-Hund. Ich bin der Ober-Roboter. Es fängt um zwei an. Und es kostet fünf Pfund.«
    Wenn sie weiterhin so klare, hilfreiche Darstellungen aller Phänomene von ihren Kindern bekam, bestand die Möglichkeit, dass sie doch halbwegs unbeschadet durch die nächsten paar Stunden kamen. Durch die nächsten paar Jahre.
    »Wie spät ist es denn jetzt?« Natalies Kinder warteten, bis sie auf ihr Handy geschaut hatte. »Hierbleiben können wir nicht. Es ist ein schöner Tag. Wir müssen raus.«
     
    Jedes Kind hatte sein eigenes Zimmer – im Haus war Platz genug, dass jeder allein schlafen konnte –, doch in Unkenntnis der Logik des Kapitalismus bestanden die Kinder darauf, zusammen zu schlafen, und zwar im kleinsten Zimmer, in einem Etagenbett, umgeben von einem Berg ihrer Kleider. Natalie wühlte in dem Durcheinander nach etwas

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