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London NW: Roman (German Edition)

London NW: Roman (German Edition)

Titel: London NW: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Zadie Smith
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Passendem.
    »Ich will mich nicht umziehen«, sagte Naomi.
    »Will nicht!«, sagte Spike.
    »Aber ihr seht wirklich albern aus«, protestierte Natalie.
    In den Augen ihrer Tochter sah Natalie ihre eigene berühmte Willenskraft gespiegelt, und zwar doppelt so stark. Unten in der Diele setzte sie den Roboter-Hund in den Buggy und stritt mit dem Roboter darüber, ob es erlaubt sei, den Roller mitzunehmen. Auch hier unterlag sie. Sie schloss die Haustür und sah an der kostspieligen Ansammlung aus Stein und Mörtel hinauf. Bald würde das alles wohl aufgeteilt werden, der ganze Inhalt verpackt und neu verteilt, die Bewohner getrennt, umgesiedelt. Bis schließlich eine neue Abordnung optimistischer Seelen die Schwelle überschritt, fest entschlossen, sich »ein Leben aufzubauen«. In mancher Hinsicht war es gar nicht schwierig, sich in eine solche Zukunft hineinzudenken, zumindest, solange man im Abstrakten blieb.
    Nach zweiminütigem Weg die Straße entlang fand Natalies Tochter den Roller langweilig und wollte huckepack getragen werden. Natalie befestigte den Roller am Buggy und nahm ihre Tochter auf den Rücken. Naomi reckte den Kopf herum, bis ihre weiche Wange am Gesicht ihrer Mutter lag und ihr wildes Haar ihrer Mutter in den Mund wehte.
    »Warum willst du den Roller immer mitnehmen, wenn du doch eigentlich schon weißt, dass du ihn nicht benutzen magst?«
    Das Kind antwortete, die feuchten Lippen am Ohr der Mutter: »Ich weiß doch nicht, was ich will, bis ich es will.«
     
    Die Mutter schaute in die Einkaufskörbe ihrer Kinder.
    Naomi: Zahnpasta, Gummiball, Aufkleber, große rote Mistgabel, Buch.
    Spike: Gummiball, Gummiball, leuchtende Plastikente, Topfreiniger, Plastikschwert.
    Fünf Pfund pro Nase, fünf Teile. Poundland. Natalie erinnerte sich, etwas Ähnliches mit Marcia bei Woolworths gemacht zu haben, früher, aber damals war es nur ein Pfund gewesen, und man bekam so viel mehr für sein Geld, und alles musste irgendwie »nützlich« sein.
    »Jetzt würde mich aber doch interessieren, wie es zu der Entscheidung kam.«
    »Ich hab Spike aussuchen geholfen. Aber das hat er selbst ausgesucht.«
    »Du brauchst doch keine Topfreiniger, Schätzchen.«
    » WILL ABER !«
    Natalie griff nach der Mistgabel.
    »Die ist für Halloween.«
    »Wir haben August, Nom.«
    » WILL ABER !«
    »Ehrlich«, sagte Naomi mit tiefernster Miene, »das ist ein Schnäppchen.«
    An der Kasse lag die Kilburn Times für fünfundzwanzig Pence.
     
    MORD AN DER ALBERT ROAD
    FAMILIE SUCHT NACH ZEUGEN
     
    Auf einem schmuddeligen Sofa saß ein älterer Rastafari mit einem Foto seines erwachsenen Sohnes in der Hand. Neben ihm saß eine schöne junge Frau und hielt die linke Hand des Vaters fest in der ihren. In beiden Gesichtern lag so tiefes Leid, dass es Natalie nicht möglich war, dauerhaft hinzusehen. Sie drehte die oberste Ausgabe um und faltete die Zeitung in der Mitte.
    »Und die hier«, sagte sie.
     
    Sie hatten Zeit totzuschlagen. Natalie hatte keine Ahnung, was mit ihnen passieren sollte, wenn die Zeit erst einmal totgeschlagen war. Sie gingen in die Tierhandlung. Natalie befreite Roboter-Hund von seinen Fesseln. Sie sah zu, wie Roboter und Roboter-Hund die Zugangsrampe hinunterrannten, der Freiheit entgegen. Sie faltete die Zeitung auf und versuchte, gleichzeitig zu gehen und zu lesen und den Buggy zu schieben und dabei zwei schöne Kinder im Auge zu behalten, die durch den hallenartigen Laden stromerten, sich mit den Eidechsen unterhielten und über die Unterschiede zwischen einem Hamster und einem Meerschweinchen diskutierten. Sie verspürte den Drang, Frank anzurufen – er hatte ein größeres Talent für die Realität als sie, besonders für chronologische Abläufe –, aber wenn sie Frank anrief, müsste sie Dinge erklären, für die sie keine Erklärung hatte. Vor zwei Tagen. Um achtzehn Uhr. Auf der Albert Road. Ihre Augen kehrten immer wieder zum selben Textabschnitt zurück, versuchten, ihm noch ein wenig mehr Sinn zu entlocken. Sie konnte nicht sagen, ob sie sich nur wieder in anderer Leute Dramen einmischte – was Frank ihr häufig vorwarf – oder ob sie tatsächlich etwas darüber wusste, was zur fraglichen Zeit auf dieser Straße vorgefallen war. Jetzt versuchte sie, den Begriff »Felix« in dem Foto auf dem Foto zu finden. Die Grübchen und die fröhliche, jungenhafte Miene. Das schicke schwarz-gelbe Kapuzenshirt. Es war ganz leicht. Er war von hier, und sie erkannte ihn, ohne etwas Genaueres über ihn sagen zu

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