London NW: Roman (German Edition)
Würde nächsten Monat um den Vorsitz der African and Caribbean Society kandidieren. Und ihn wahrscheinlich auch bekommen. Hatte ein »zweitklassiges Internat« besucht. Das aus dem Mund eines Menschen, der selbst eine »Grammar School« besucht hatte. Außerdem: »Seine Mutter ist Italienerin oder so was. Und sein Vater bestimmt irgendein afrikanischer Prinz, so ist das doch meistens.«
64. Einschub zum Bildungswesen
(Manche Schulen »besuchte« man. Auf der Brayton »war« man einfach nur.)
65. 8. März
Wie es der Zufall wollte, fiel Leahs dritter Besuch mit einem Galadinner zum Internationalen Frauentag zusammen. Ein willkommener Vorwand, Rodney nicht zu treffen. Leah trug ein grünes Kleid und Natalie ein lilafarbenes, und sie zogen sich gemeinsam um und betraten Arm in Arm den Speisesaal. Die sichtliche Freude, die sie aneinander hatten, ihre tiefe Vertrautheit und ihr ungezwungener Umgang miteinander ließen sie zusammen sehr viel attraktiver wirken, als es jeder einzeln je gelungen wäre, und weil sie sich dessen durchaus bewusst waren, betonten sie ihre Ähnlichkeiten in Größe und Körperbau und bewegten die langen Beine im Gleichschritt. Als sie ihren Tisch erreichten, war Natalie wie berauscht von dem Zauber, jung zu sein, fast schon frei von einem Mann, der sie langweilte, und im Begriff, ein Abendessen mit mehr als zwei Gängen einzunehmen.
66. Das Menü
Honigmelone an Cocktail von Riesengarnelen
Hähnchenbrust im Speckmantel mit grünen Bohnen
und Juliette-Kartoffeln
Warmer Schokoladenkuchen mit
Bourbon-Vanille-Eis
Käseauswahl
Kaffee, Dinner Mints
67. Begehren
»Wer ist das?«, fragte Leah Hanwell.
»Die Dekanin«, sagte Natalie Blake und leckte sich etwas Schokolade von den Zähnen. »Und wenn sie endlich aufhören würde zu labern, könnten wir rüber in die Bar gehen.«
»Nein, die Frau da drüben an dem Tisch. Mit dem Zylinder.«
»Was?«
»Chinesin oder Japanerin – da drüben.«
»Ach so, die kenn ich nicht.«
»Sie ist so wunderschön!«
68. Valentino
Koreanerin. In der Bar legte sie ihren Hut auf den Tisch, und während Natalie Blake sich mit jemand anderem in der Sitzecke unterhielt, griff sie, Natalie Blake, immer wieder nach dem Hut und strich über die satinbezogene Krempe. Hinter sich hörte sie, wie ihre gute Freundin Leah Hanwell mit der Koreanerin redete, die Alice hieß, sie zum Lachen brachte, und als Natalie an die Theke ging, um neue Getränke zu holen, hatte sie einen unverstellten Blick auf Leah in der Pose des traditionellen Ladykillers: einen Arm auf der Sofalehne, die andere Hand auf Alice’ Knie, den Mund ganz nah am hinreißenden Hals des Mädchens. Natalie Blake hatte Leah schon oft bei so etwas beobachtet, bisher aber nur mit Männern, und das hatte immer etwas leicht Skandalöses, Verkehrtes an sich gehabt, während die Rollenverteilung jetzt ganz natürlich wirkte. Dieser Gedanke gab Natalie Anlass, sich über sich selbst zu wundern und sich zu fragen, wo sie eigentlich derzeit mit Gott stand, ob sie überhaupt noch irgendwo mit ihm stand. Ohne den Blick abwenden zu können, zwang sie sich, zur Musicbox zu gehen und den Song »Electric Relaxation« von A Tribe Called Quest auszuwählen, in der Hoffnung, sich dabei zu entspannen.
69. Die Erfindung der Liebe, Teil eins
Frank war nicht in der Bar und auch sonst nirgends zu sehen.
70. Abschiede
Im Bus, auf dem Weg zum Busbahnhof, nach einem – man kann es nicht anders sagen – einschneidenden Besuch, der sich womöglich sogar dem Status eines dramatischen Ereignisses annäherte, sagte Leah Hanwell ziemlich verlegen: »Ich hoffe, es war nicht schlimm, dass ich einfach so verschwunden bin. Wenigstens hattet ihr das Zimmer wieder für euch, du und Rodders«, und mehr wurde an dem Tag nicht über Leah Hanwells Nacht mit Alice Nho gesagt, und Natalie Blake erwähnte auch nicht, dass sie Rodney in der Nacht nicht in ihr Zimmer gebeten hatte und das auch nie wieder tun würde. Der Bus kletterte einen fast senkrechten Hang hinauf. Natalie Blake und Leah Hanwell wurden in ihren Sitz zurück- und aneinandergedrückt. »War aber echt schön, dich zu sehen«, sagte Leah. »Du bist die Einzige, mit der ich so richtig ich selbst sein kann.« Diese Bemerkung brachte Natalie zum Weinen, weniger aus Rührung als wegen der erschreckenden Gewissheit, dass diese Aussage umgekehrt jede Bedeutung verlieren würde, weil Ms Blake ja gar kein Selbst besaß, das sie hätte sein können, weder mit Leah noch mit sonst
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