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London

London

Titel: London Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Edward Rutherfurd
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ihnen standen die Gildenoberhäupter, einige von ihnen in ihren Amts trachten, andere die Fahnen tragend, auf denen die Wahrzeichen ihrer Zünfte abgebildet waren. Stiftsherren von St. Paul's, die Blackfriars, die Greyfriars und Mönche, Nonnen und Priester aus etwa hundert Pfarreien waren zusammengekommen. Tausende von Zuschauern stritten sich um die besten Plätze, um einem höchst bemerkenswerten Schauspiel beizuwohnen: Der König von Frankreich wurde als Gefangener in die Stadt gebracht.
    In den vergangenen Jahrzehnten war der uralte Zwist zwischen Frankreich und den Plantagenets in eine neue Phase getreten, die von späteren Historikern als Hundertjähriger Krieg bezeichnet wurde. Aufgrund ihrer Herkunft und diverser kluger Eheschließungen erhoben die Plantagenets Anspruch auf den französischen Thron. Zwar stritten die Franzosen diesen Anspruch ab, doch englische Monarchen fügten von nun an mehrere Generationen lang die französische Lilie in ihr königliches Wappen ein.
    Die Engländer konnten erstaunliche Erfolge verbuchen. König Eduard III. ein Enkel des mächtigen Eduards I. dem er sehr ähnelte, hatte die Franzosen wiederholt geschlagen. Sein ältester Sohn, der galante Schwarze Prinz, der die englischen Ritter und Bogenschützen bei den berühmten Schlachten von Crecy und Poitiers ins Feld führte, war der größte Held seit Richard Löwenherz. Nicht nur der Süden von Aquitanien und die Weinberge von Bordeaux waren nun fest in englischem Besitz, auch der Kanalhafen Calais in Nordfrankreich, dessen Bürger König Eduard um ihr Leben angefleht hatten, war inzwischen englisch, was Englands mächtigem Wollhandel auf dem europäischen Festland durchaus gelegen kam.
    Und die Kriege waren sogar noch ertragreich gewesen. Englands Kaufleute hatten ihren weitreichenden Handel mit Flandern, den Hansehäfen im Baltikum, mit Italien und Bordeaux fast ungestört beibehalten können. Auch aus den Lieferungen für das Heer war ihnen Gewinn erwachsen. Und die Erfolge gegen die Franzosen hatten soviel Kriegsbeute und Lösegeld für die gefangenen Ritter ins Land gebracht, daß König Eduard sein Volk jahrelang überhaupt nicht besteuern mußte.
    An diesem klaren Maimorgen kam nun der König von Frankreich als Gefangener nach London. Im letzten Jahr war er den Engländern bei einer Schlacht in die Hände gefallen. Und da kam auch schon der heldenhafte Schwarze Prinz, Führer des von seinem Vater gegründeten neuen Ordens, des berühmten Hosenbandordens. Er ritt in ausgesprochen ritterlicher Höflichkeit neben dem gefangenen Monarchen auf einem kleinen Zelter einher.
    Als der Zug bei dem Mayor ankam, drehte sich Gilbert Bull zu dem Mädchen an seiner Seite um und meinte: »Ich habe beschlossen, dich zu heiraten.«
    »Habe ich etwas dazu zu sagen?« fragte das Mädchen.
    »Nein«, antwortete er freundlich, aber bestimmt, und das Mädchen lächelte. Es hatte nichts gegen einen entscheidungsfreudigen Ehemann einzuwenden. Und auch er lächelte, denn sie war genau die Frau, die er brauchte.
    Nachdem sich William Bull vor sechzig Jahren frustriert auf sein Landgut in Bocton zurückgezogen hatte, stellte er den Handel völlig ein und widmete sich ausschließlich seinen Geschäften auf dem Land. Sein Sohn und sein Enkel taten es ihm gleich. In der nächsten Generation gab es zwei gesunde Söhne und nur ein Landgut. Auf dem europäischen Festland wäre das Gut vielleicht aufgeteilt worden, aber die englischen Könige, die feststellten, daß sie Schwierigkeiten hatten, ihre Lehnsdienste einzufordern, bestanden zunehmend auf dem Recht des Erstgeborenen, das väterliche Erbe anzutreten. Doch wenn Bocton an den ältesten Sohn fiel, was sollte dann sein jüngerer Bruder Gilbert machen? Natürlich wäre ihm eine Kirchenlaufbahn möglich gewesen. Doch die Priesterschaft war nun fast ausschließlich zölibatär, und darauf hatte Gilbert keine Lust. Übrig blieb das Militär. Mit vierzehn war er mit dem Schwarzen Prinzen in den Krieg gezogen und hatte in Crecy gekämpft. Diese Erfahrung hatte ihm einen Einblick in die rauhe Wirklichkeit des mittelalterlichen Kriegswesens verschafft. »Unsere Soldaten«, erklärte er seinem Vater bei seiner Rückkehr, »streunen einfach nur herum, wenn sie nicht gerade kämpfen. Wenn ich einen Gönner fände, dann könnte ich es vielleicht zu etwas bringen; wenn nicht, wäre ich kaum mehr als ein einfacher Straßenräuber.«
    »Dann ist es wohl besser, daß du nach London gehst«, meinte sein Vater.
    Der

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