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London

London

Titel: London Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Edward Rutherfurd
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Kaufmannselite eingliederte. »Ein richtiger junger Gentleman!« sagte die Köchin bewundernd. Doch Richard Whittington war noch immer ein Lehrling. Früher kauften reiche Männer oder die Söhne von Bürgern sich in den Bürgerstand ein, oder sie erbten den Anspruch. Inzwischen erhielten sie ihn fast ausschließlich durch die Gilden, welche schon seit längerem die Normen, die Qualität, die Arbeitsbedingungen und Preise festlegten, und zwar für jeden Handwerkszweig. Kein Handwerker oder Kaufmann konnte ohne die Mitgliedschaft in einer Gilde tätig sein. Die Gilden dominierten die Bezirke und die Ratsversammlungen der Aldermen. Sie stritten miteinander um die Vorherrschaft in der städtischen Politik, sie bestimmten das Leben in London.
    Whittington mochte den kleinen Ducket und spielte oft mit ihm. Er brachte ihm Ringen und Boxen bei und stellte bald fest: »Egal, wie oft er zu Boden geht, er steht immer wieder auf. Er gibt nie auf.«
    Manchmal zeigte er ihm auch die Stadt. Obwohl die Pest tiefe Einschnitte in der Londoner Bevölkerung verursacht hatte, herrschte doch bereits wieder reges Treiben. Sie sahen sich die Häuser der Adligen an, deren Wappen auf Seidenfahnen von den Fenstern wehten, und rechts und links davon drängten sich die Holzschilder von Bäckern, Handschuhherstellern und Wirtshäusern. Das Haus des Schwarzen Prinzen war umringt von den Häusern der Fischhändler; vor seinem Tor hingen große Weidenkörbe mit Kräutern gegen den Fischgestank. Reiche, weniger Reiche und Arme lebten Seite an Seite, wie es auch das Geheiligte und das Profane taten. Gleich neben der kleinen Kirche St. Lawrence-Silversleeves waren die Häuser vom schwarzen Tod geleert worden und inzwischen eingestürzt. Die Höfe hatten sich zu einem Müllplatz gewandelt, den die Armen oft als öffentliche Bedürfnisanstalt nutzten. Der Gestank zwang den Kustos oft dazu, sich ein Taschentuch vor Gesicht und Mund zu pressen, während er eilig seinen Gottesdienst abhielt.
    Einmal machten sie auch einen längeren Ausflug zu der Stelle, wo die Stadt ihr Trinkwasser erhielt. Da die Themse oft salzig war, taugte sie nicht immer als Trinkwasserquelle. Früher hatten die Londoner den kleinen Walbrook oder den nahe gelegenen Fleet benutzt; doch beide waren jetzt nicht mehr ratsam. Am Walbrook standen zu viele Häuser, deren Garderobes in den Fluß hineinragten, und obendrein wurde der kleine Fluß von den Abfällen aus den Kürschnerwerkstätten, die an seinen Ufern standen, verschmutzt. Der Fleet war inzwischen völlig verdreckt. Am oberen Flußlauf lagen die Gerbereien, deren Abwässer den Fluß nach Urin und Ammoniak stinken ließen. An der Seacoal Lane wurden die Kohlenschiffe entladen, dort verdunkelte der Kohlenstaub das Wasser. Bei Newgate kippten die Schlächter ihre Abfälle in den Fluß. Bis er sich in die Themse ergoß, war der Fleet wahrlich kein schöner Anblick mehr.
    Mitten auf dem West Cheap stand ein sonderbares Gebäude, das wie ein kleines Schloß aussah. An den Seiten strömte durch dünne Bleirohre ein steter Fluß klaren, frischen Wassers, das über eine Wasserleitung hierher transportiert wurde. Diese Anlage hieß ›die große Röhre‹. Whittington und der Junge gingen dem Lauf der Wasserrohre nach bis zu der klaren Quelle, die die Rohre speiste; sie lag an einem Hang nördlich von Westminster, etwa zwei Meilen von der Stadt entfernt.
    Dem Jungen kam dies alles wie ein Wunder vor, doch sein Held schien davon wenig begeistert zu sein. »Widerlich!« sagte er, wenn sie an Orten wie St. Lawrence-Silversleeves vorbeikamen. »Hier müßte unbedingt mal einer aufräumen!« Und die große Röhre war ihm auch zu wenig. »Eine einzige Leitung für eine Stadt in dieser Größe? Völlig unzureichend. Die Stadt muß dies ändern, sonst ändere ich es eines Tages persönlich. Ich werde nämlich einmal Bürgermeister.«
    »Wie wird man denn Bürgermeister?« fragte Geoffrey eines Tages. Als Antwort deutete Whittington auf ein stattliches Gebäude am Cheap. »Weißt du, was das ist?« fragte er. Dort, wo früher einmal Thomas Beckets Familie gewohnt hatte, standen eine hübsche Kapelle, die dem Londoner Heiligen gewidmet war, und oberhalb davon eine Halle. »Dort treffen sich die Angehörigen der Seidenhändlergilde«, erklärte Whittington. »Erst wirst du Mitglied, dann vielleicht Amtmann, und dann machen sie dich zum Bürgermeister. Die Gilde ist das wichtigste.« Und Geoffrey Ducket schien es das Schönste auf der ganzen Welt zu

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