London
eine neue Zimmerflucht da, zusätzliche Mauern und Türmchen aus Ziegel oder Stein, um die stets größer werdende Gemeinschaft, die hier lebte, unterzubringen.
Es war eine bemerkenswerte Gemeinschaft. Abgesehen von der kleinen Armee von Arbeitern und Dienern, Köchen, Küchenjungen und Wäscherinnen, die man benötigte, um die Anlage zu versorgen, abgesehen vom Burghauptmann, dem stellvertretenden Burghauptmann und anderen ehemaligen Offizieren beherbergte der Tower die Münzanstalt und den Geschützmeister, dessen Waffengießereien am Kai lagen, während die Lager sicher innerhalb der Mauern untergebracht waren. Um alles noch lebendiger zu machen, hatte die unter den Tudors eingeführte, aus Adeligen bestehende königliche Leibgarde, die Yeoman Warders in ihren karmesinroten Uniformen, ihr Hauptquartier im Tower. Hier waren auch die königliche Menagerie exotischer Tiere und die Löwen, deren gelegentliches Brüllen man von der südwestlichen Ecke aus hören konnte, untergebracht. Und schließlich gab es die Raben auf dem Rasen, die mit ihrem düsteren Krächzen verkündeten, daß sie allein die wahren, angestammten Hüter des Ortes waren.
Gefangene gab es nur wenige, und sie entstammten fast ausschließlich der Oberschicht – Höflinge oder Gentlemen, die den Monarchen irgendwie beleidigt hatten. Manchmal, das stimmte, ließ man sie Qualen erleiden, obwohl die Streckbank oder andere Folterinstrumente in England selten angewandt wurden, häufiger jedoch waren sie in einem bescheidenen Komfort untergebracht, der sich für ihren Stand ziemte.
Er selbst wurde höflich empfangen. Der Burghauptmann des Towers, ein vornehmer Mann, stattete ihm einen kurzen Besuch ab. Sir Thomas Morus und Bischof Fisher waren im Bell Tower in der Nähe des Eingangs eingesperrt, erfuhr Rowland. Doktor Wilson und die drei Prioren befanden sich in anderen Gemächern. Danach brachte ihm die diensthabende Wache seine Mahlzeiten, doch ansonsten ließ man ihn mit seinen Gedanken allein.
Er versuchte ruhig zu bleiben. Aber wie konnte er das angesichts des Grauens, das ihn mit Sicherheit erwartete, und der Angst um seine Familie? Am Ende des ersten Tages hatte er sich zweimal übergeben müssen und war so aschfahl, daß man dem Burghauptmann sagte, er würde vielleicht sterben. An den nächsten beiden Tagen ging es ihm kaum besser, obwohl seine Frau und seine Kinder ihn besuchten. Doch nun, während er durch das Fenster zusah, was sich unten abspielte, war er zwar blaß, doch er wandte sich an Susan und bemerkte. »Komm und sieh dir dieses Wunder an.«
Man führte die drei Prioren aus ihren Zellen zum äußeren Tor. Von dort aus würde man sie quer durch London zum wartenden Galgen bringen. Sie wurden begleitet von dem Burghauptmann und einer Gruppe respektvoller Yeomen Warders, die offensichtlich entschlossen waren, ihnen vor dem Martyrium, das sie erwartete, einige letzte würdevolle Augenblicke zu sichern. Widerwillig trat Susan zu ihrem Gatten, um ihnen nachzusehen.
»Sieh nur, wie fromm und frohgemut sie gehen«, murmelte Rowland. »Die Lämmer Gottes. Ich glaube, das ist es, was Glaube wirklich bedeutet. Sie wissen, daß sie das Richtige tun. Das ist es, was Märtyrer uns hinterlassen. Ich vermute, sie sind in gewisser Weise die Felsen, auf denen die Kirche in Wahrheit aufgebaut ist.«
Am letzten Abend hatte Thomas ihm bei seinem Besuch noch einige andere Neuigkeiten mitgeteilt. »Nach den Hinrichtungen wird man direkt zum Charterhouse gehen und die übrigen Mönche den Eid leisten lassen.«
Peter. Auch er würde ihm also bald Gesellschaft leisten. Vielleicht, dachte Rowland, würde man sie gemeinsam aburteilen, vielleicht würden sie sogar gemeinsam sterben. Der Gedanke tröstete ihn und gab ihm Kraft.
Am 4. Mai 1535 wurde auf Befehl König Heinrichs VIII. dieses eifrigen Verteidigers des Glaubens, die Hinrichtung der drei Prioren vollzogen. Vor dem äußeren Tor des Towers wurden sie auf hölzerne Gestelle gesetzt und durch die Straßen gezogen. Es war ein weiter Weg, denn obwohl man den alten Platz in Smithfield immer noch für Hinrichtungen nutzte, war eine neue Stätte mittlerweile populärer geworden: die alte römische Straßenkreuzung eine Meile westlich von Holborn, wo einst ein marmorner Torbogen gestanden hatte und die nun nach einem kleinen Flüßchen, dem Tyburn, benannt war; den Galgen nannte man Tyburn Tree, den »Baum am Tyburn«.
Seit den Tagen, als der heilige Thomas Becket dem König der Plantagenets die Stirn
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