London
Tag ein solches Gedränge, daß die meisten Leute stehen mußten. Gespannte Erwartung lag in der Luft. Martha bemerkte den Unterschied sofort. »Der Altar«, flüsterte sie Gideon entsetzt zu. »Schau!«
Seit mittlerweile Jahrzehnten stand der Altar in St. Lawrence nach protestantischer Art vor dem kleinen Kirchenschiff. Heute jedoch hatte man ihn in die Kanzel gestellt, die frühere Domäne des Priesters, entfernt vom Kirchenvolk. Doch das war nichts im Vergleich zu dem, was anschließend kam: die Ankunft von Reverend Edmund Meredith.
Der Vikar von St. Lawrence-Silversleeves hatte bisher aus Ehrerbietung vor König Jakob den traditionellen Chorrock oder Vespermantel des Priesters getragen, aber stets so einfach und nüchtern, daß sich Sir Jakob nie beschwert hatte. Nicht so heute. Es sah aus, als sei ein plötzlicher Regen aus Gold über Edmund gekommen. Die Kurzwarenhändler Fleming hatten ihm für nicht weniger als vierzig Pfund Goldfaden und Ziermünzen für sein Gewand verkauft. Die Gemeinde hielt den Atem an. Meredith, in diese papistische Erscheinung verwandelt, hielt den Gottesdienst ab. Dann stand er auf, um zu predigen.
»Ich will euch von zwei Schwestern erzählen«, verkündete er, »ihre Namen sind Demut und Gehorsam.« Dann setzte er voller Gift zum Angriff an. Mit jeder Seite des Puritanismus, die Martha lieb war, setzte er sich unbarmherzig auseinander. Bischöfe, erinnerte er sie, waren ihre geistlichen Oberhäupter, wie Könige regierten sie von Gottes Gnaden. »Es ist der Wille des Bischofs, daß in Zukunft alle Gemeinden an jedem Sonntag ihre Staatskirche besuchen. In diesem Kirchspiel wird diese Regel durchgesetzt.« Streng funkelte er sie an und befahl: »Hört also das Wort Gottes! Seid demütig und gehorcht!«
Normalerweise stand Edmund an der Kirchtür, um sich von seinen Gemeindemitgliedern zu verabschieden. Heute stand die Kirchspielversammlung an seiner Seite. Julius sah sie alle herauskommen und wollte gerade seinem Bruder nach Hause folgen, als er sich Gideon gegenübersah, in dessen Gegenwart er sich stets unbehaglich fühlte. Der junge Mann war streng religiös geworden, und im letzten Jahr hatte er geheiratet. Aber die schreckliche Auspeitschung konnte nie vergessen werden.
»Eure Kirchspielversammlung duldet solche Papisterei«, meinte Gideon ruhig. »Aber sagt mir, Julius Ducket: Durch wessen Befugnis tagt die Kirchspielversammlung?« Julius wußte kaum, was er sagen sollte. »Wenn die Gemeinde die Kirchspielversammlung gewählt hat«, fuhr Gideon fort, »sollten wir dort gottesfürchtige Männer und einen gottesfürchtigen Pfarrer haben. Ihr sitzt in der Kirchspielversammlung, als sei es von Gottes Gnaden. Ihr habt kein Recht dazu. Ihr seid uns aufgezwungen.« Er drehte sich um und ging.
Als Julius später Henry davon erzählte, reagierte dieser verächtlich. »Vielleicht sollte dieser Bursche noch einmal ausgepeitscht werden.« Aber Julius war verunsichert.
Meredith erhielt drei Tage später ein Ersuchen vom Sekretariat Bischof Lauds: Der Bischof sei interessiert, seine Predigt zu lesen. Ob er vielleicht eine saubere Abschrift habe?
Als er zwei Wochen später eines Abends ein Klopfen an seiner Tür hörte, dachte er, es könnte ein Bote dieser erlauchten Persönlichkeit sein, und war daher gelinde überrascht, als seine Haushälterin ihm statt dessen ankündigte, eine Lady wünsche ihn zu sprechen. »Eine Mrs. Wheeler.«
Einen Augenblick später stand er Jane gegenüber. Es war unverkennbar sie. Die immer noch gutaussehende Frau vor ihm wirkte jugendlich wie das Mädchen, das er gekannt hatte, obwohl ihre Gestalt fälliger war. Ihr Seidenkleid ließ darauf schließen, daß sie eine wohlhabende Frau war. Als er sie anblickte, schien es ihm, als stehe vor ihm die lange verlorene Liebe seines Lebens. Und Jane, die Meredith' immer noch attraktives Gesicht betrachtete, fragte sich im stillen, ob sie ihn heiraten sollte.
Sie war nicht mit dieser Absicht nach London gekommen. Ihre Ersparnisse aus Virginia reichten aus, daß sie angenehm leben konnte, und nur wenn sie einen respektablen Mann finden konnte, würde sie vielleicht noch einmal heiraten. Sie wußte, daß sie vor allem eines wollte: Frieden.
Sie hatte angenommen, Meredith habe sich entweder eine reiche Frau gesucht oder irgendeine Beschäftigung am Theater angenommen, aber hier stand er, ein Geistlicher, einer der bekanntesten Prediger der Stadt – attraktiv, respektabel und erstaunlicherweise unverheiratet. Sie
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