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London

London

Titel: London Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Edward Rutherfurd
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schwarzer Hut mit hoher Krone und breiter runder Krempe. Er trug noch seine Tageskleidung – eine schwarze, ärmellose Weste, ein schwarzweiß gestreiftes Hemd mit einem hohen weißen Leinenkragen und Manschetten, schwarze Breeches und einfache Schuhe. Sein silbergraues Haar war auf Kinnlänge geschnitten; diese absichtlich unattraktive Frisur war nun bei den Puritanern Mode, und ohne Zögern hatte er diesen Stil vor drei Jahren übernommen.
    Er saß in einem schweren Polsterstuhl, die langen Finger vor dem aristokratischen Gesicht gefaltet, als bete er. Aber Edmund betete nicht, er dachte nach – er dachte ans Überleben. Obwohl er nun Ende siebzig war, sah er zwanzig Jahre jünger aus. Das jüngste seiner fünf Kinder war erst sechs, und es schien, als habe Edmund vor, lange genug zu leben, um diesen Knaben ins Erwachsenenalter zu begleiten. »Die Kunst des politischen Überlebens besteht vor allem darin, daß man sich rechtzeitig einrichtet«, erklärte er Jane. Und wenn er die letzten sieben konfliktreichen Jahren überblickte, konnte er sicher behaupten, daß ihm das gelungen war. Er sprach gerne mit Jane. Sie kannten einander zu lange, um Geheimnisse voreinander zu haben. Sie war der einzige Mensch, mit dem er vollkommen ehrlich sein konnte.
    Der wichtigste Schritt war der erste gewesen, damals im Jahr 1642, als er Julius mit seinem Wechsel ins Lager der Presbyterianer so entsetzt hatte. Damals war König Karl I. noch auf London vorgerückt, und viele hatten seinen raschen Sieg erwartet. »Wie konntest du wissen«, hatte Jane gefragt, »auf welche Seite du dich schlagen mußtest? Der König hätte dem Parlament eine Niederlage beibringen können.«
    »Richtig«, stimmte er zu. »Aber ich war sicher, daß sich langfristig das Parlament durchsetzen würde. Die Rundköpfe hatten die Flotte und fast alle Häfen – wie sollte Karl I. da Verstärkung bekommen? Die Häfen zahlten ihren Zoll ans Parlament, und die Rundköpfe hatten London. Für lange Kriege braucht man Geld. Und das Geld ist in London. Ich habe zwei zu eins auf die Rundköpfe gewettet und bin Presbyterianer geworden.«
    Und er hatte recht gehabt. Wenige Monate später hatte das Parlament jeglichen Anschein königlicher Amtsgewalt fallengelassen, Bischöfe abgesetzt und einen Handel mit den Schotten abgeschlossen. Mit einem feierlichen Vertrag, dem Covenant, wurde vereinbart, daß England, im Gegenzug für eine schottische Armee gegen Karl, presbyterianisch werden sollte. Eine große Zahl anglikanischer Geistlicher wurde aus dem Amt geworfen; die Kirchspiele in London befanden sich in Aufruhr. Doch Meredith hatte alles überstanden. Während die strengen Schotten und das englische Parlament die Einzelheiten einer calvinistischen englischen Kirche ausarbeiteten und der erste Londoner Ältestenrat einberufen wurde, waren sich selbst die strengsten schottischen Besucher einig: »Dieser Meredith hält gute Predigten. Sehr vernünftig.«
    Doch das war vor einiger Zeit gewesen, als der Kampf zwischen Karl I. und dem Parlament noch im Gange war. Seither hatte sich die Lage geändert – seiner Ansicht nach sehr zum Schlechteren. Und nach dem morgigen Tag konnte keiner wissen, was geschehen mochte. Edmund war sicher, daß er einen Weg finden würde, um zu überleben. Er sorgte sich nicht um sich selbst, sondern um Jane. Weiß Gott, er hatte sie gewarnt.
    Die Kerze in ihrem Zimmer brannte noch, und in ihrem flackernden Licht blickte Jane auf die schlafende Gestalt neben sich. Sie war froh, daß er so friedlich war.
    Doch hatte Meredith recht? Waren sie in Gefahr? Dogget glaubte es nicht, doch seine Einstellung zum Leben war immer schon fröhlich gewesen, dachte Jane voller Zuneigung. Meredith hatte ein gutes Urteilsvermögen. Waren sie also ein unglückliches Liebespaar – Romeo und Julia? Der Gedanke belustigte sie. Dogget und Jane: ein seltsames Paar für eine Tragödie, da sie sechzig war, als sie ein Liebespaar wurden. Und sie hielt es sogar für wahrscheinlich, daß es nur aufgrund des Krieges dazu gekommen war.
    Es war seltsam, daß Jane und viele andere Londoner, wenn sie an den Bürgerkrieg dachten, sich vor allem an die Stille erinnerten. Denn in diesem ersten Frühjahr wurde das ganze Gebiet hinter einem Wall abgeriegelt. Woche um Woche waren die Londoner draußen und gruben. Jeder kräftige Mann, auch ältere Männer wie Dogget, wurde einberufen und mit einer Schaufel ausgerüstet, und selbst an Sonntagen hatten sie sich abgerackert. So wurde in

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