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London

London

Titel: London Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Edward Rutherfurd
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stehlen; London wurde zu genau bewacht. Aber von diesem Tag an hatte er an innerer Kraft gewonnen. Dennoch war es in den folgenden Jahren nicht immer leicht, den Mut zu bewahren. Anfang 1645 richteten die Rundköpfe Erzbischof Laud hin; ein Zeichen, wie weit sie zu gehen vorhatten. Als Cromwell und seine Armee den Krieg gewannen und König Karl gefangengehalten wurde, hoffte Julius immer noch, daß man eine Abmachung erreichen könnte.
    Die Ereignisse der letzten beiden Monate konnte er kaum glauben. Erst nachdem Pride das Parlament gesäubert hatte, war die Macht der Armee offenkundig geworden. Der König wurde zum Prozeß in die Westminster Hall gebracht. »Vielmehr zur Farce eines Prozesses«, wie Julius meinte. König Karl I. weigerte sich, die Befugnisse des Gerichts anzuerkennen. Als Reaktion darauf ließ ihn das Militärgericht abführen, sowohl am ersten wie am zweiten Prozeßtag. »Tatsächlich wurde die Verhandlung gegen ihn in seiner Abwesenheit geführt«, vermerkte Julius. Am dritten Tag verurteilten die Handlanger der Armee den Monarchen zum Tode.
    Und so würden sie am Morgen, nach dieser kalten Nacht, ihren König umbringen. Noch nie zuvor war so etwas geschehen. Doch wenn sie meinten, damit die Welt zu ändern, so schwor sich Sir Julius Ducket: »Das werden sie nicht.«
    Schon vier Nächte lang wohnte dieser Kerl nun im »George Inn«. Ein griesgrämiger alter Seebär, doch er machte keinen Ärger und blieb für sich. Jeden Morgen verließ er das Haus und kam erst in der Dunkelheit wieder, und niemand wußte, welchen Geschäften er nachging. Als der Gastwirt fragte, ob er am nächsten Morgen zur Hinrichtung des Königs gehen würde, hatte er den Kopf geschüttelt. »Keine Zeit.« Er hatte nur noch drei Tage, bevor sein Schiff wieder abfuhr.
    Zwanzig Jahre waren vergangen, seit der Finstere Barnikel dem ersten Maat seinen Auftrag gegeben hatte; zwanzig Jahre lang trug dieser das Testament des Piraten mit sich. Vor drei Jahren hatte er sich in Virginia eingehender nach Jane erkundigt, doch seine erste Nachforschung brachte keinerlei Informationen über sie zutage. Ein Jahr später verbrachte er noch einmal zehn Tage in Jamestown, und diesmal hatte er mehr Glück. Jemand erinnerte sich an die Frau, die er beschrieb, und sagte ihm, daß sie Wheeler geheiratet hatte, und als er abfuhr, war er ziemlich sicher, daß Jane und die Witwe Wheeler ein und dieselbe waren. Man sagte ihm, sie sei nach England zurückgekehrt. »Sie hat gesagt, sie sei aus London«, erinnerte sich ein Farmer. Er ging von Kirchspiel zu Kirchspiel und erkundigte sich bei den Geistlichen nach der Witwe Wheeler. Bisher hatte er kein Glück gehabt, aber vielleicht morgen. Er ging die Cheapside entlang zu St. Mary-le-Bow und dem kleinen St. Lawrence-Silversleeves.
    Schon früh an diesem eisigen Morgen strömte eine Menschenmenge in Whitehall zusammen. Vor dem Bankettsaal hatte man eine hölzerne Plattform errichtet, und die Truppen der Rundköpfe bildeten eine Wache.
    Julius fragte sich, wie die Stimmung der Leute war. Waren alle strenge Puritaner wie Gideon? Manche ja, aber die Mehrheit war ein eher buntgemischtes Volk – von Gentlemen und Anwälten bis hin zu Fischhändlerinnen und Lehrlingen. Waren sie nur zu einer Belustigung gekommen? Während sie in der bitteren Kälte warteten, wirkten sie seltsam gedämpft. Julius dachte an den Bankettsaal mit seiner herrlichen Rubensdecke. Dargestellt auf ihr war Jakob, der Vater des Königs, wie er in den Himmel auffuhr – nicht zum erstenmal war aus einem ein wenig absurden Thema ein großes Kunstwerk geschaffen worden. Es war eine allegorische Darstellung des Hofes, der kultivierten europäischen Welt des Königs und seiner Freunde, der prachtvollen Häuser, der großen Gemäldesammlung – alles, was diese ungebildeten Puritaner mit ihrem brutalen Gott zerstören wollten. Nun kamen berittene Soldaten und formierten sich um das Schafott. Ein Trommelwirbel ertönte. Eines der oberen Fenster des Bankettsaals ging auf, und einen Augenblick später erschien König Karl I. von England, einfach, aber elegant in Umhang und Wams. Julius hatte einen Aufschrei oder auch Hochrufe der Menge erwartet, aber es blieb seltsam still. Ein Geistlicher in langem Talar folgte, dann mehrere Minister und andere Mitglieder des Hinrichtungskommandos, und zuletzt der Henker mit einer schwarzen Maske über dem Gesicht und einem Beil.
    Es war Brauch, daß ein Verurteilter sich an das Volk wenden konnte, und das wurde

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