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Long Reach

Long Reach

Titel: Long Reach Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Cocks
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es auch und im Rückspiegel trafen sich unsere Blicke. Während der Fahrt sagte er kaum etwas, fluchte nur ab und an über den Verkehr oder machte eine Bemerkung über das Wetter. Immer wieder blickte er prüfend zum Motorrad hinter uns, und als wir auf die Ampeln des Ringverkehrs von Greenwich zusteuerten, gab er auf einmal Gas und fuhr bei Rot drüber.
    »Hoppala«, sagte er.
    Ich wagte nicht, mich umzudrehen, und Dave schoss über ein paar kleine Seitenstraßen auf und davon.
    »Kleine Abkürzung.«
    Eine Minute später konnte ich das Motorrad nicht mehr hören. Wenn uns jetzt nicht jemand ganz diskret folgte, war ich mit ziemlicher Sicherheit auf mich allein gestellt. Trotz meiner blank liegenden Nerven brachte ich es fertig, unter dem Beifahrersitz einen kleinen magnetischen Peilsender anzubringen, während ich mir die Schnürsenkel zuband. Ich wollte sichergehen, dass irgendwo irgendwer wusste, wo ich steckte.
    Zwanzig Minuten später erreichten wir Kelly Towers. Sophie war in der Schule und Cheryl musste gerade mit denHunden draußen sein, denn als wir die Auffahrt hinaufknirschten, war keinerlei Gebell zu hören. Hübsch war das Haus jetzt nicht mehr. Im grauen Morgenlicht wirkte es einfach nur kalt und unheilvoll.
    Mir war übel.
    Dave machte mir die Tür auf und führte mich hinein.

Neununddreißig
    Tommy Kelly saß in seinem Arbeitszimmer, wie gewöhnlich. Mir stieg der Zigarrenrauch schon in die Nase, als ich den Flur betrat. Was sonst so gut nach Weihnachten und anderen Feierlichkeiten roch, drang jetzt roh und aggressiv in meine Lunge ein. Überwältigte mich.
    »Komm rein, Eddie.« Seine Stimme klang nicht bedrohlicher als sonst. Gar nicht bedrohlich. Ich trat ins Zimmer, Dave hinterher. »Alles okay, Dave. Ich werde mich ein bisschen mit Eddie unterhalten und ruf dich dann rein, wenn ich fertig bin.«
    Dave nickte und verließ das Zimmer wieder. Tommy saß auf dem Sofa und betrachtete ein neues Kunstwerk, das auf der Staffelei stand. Es war das Bild eines Männerkopfs vor einem schlichten, stumpfen roten Hintergrund. Der Kopf war riesig und übertrieben. Er sah aus, als hätte man ihn durch den Fleischwolf gedreht, als hätte man ihm die Haut abgezogen und das Fleisch darunter freigelegt. Man konnte alle Zähne sehen. Unscharf war es auch. Über dem Kopf baumelte eine nackte Glühbirne.
    »Schau dir das mal an«, sagte Tommy. Es war dem Bild,das ich in Barney Lipmans Schuppen gesehen hatte, ziemlich ähnlich. »Als ob man in seine Seele blicken könnte. Alles sehen, was er fühlt. Seinen Schmerz. Verdammtes Genie.«
    Ich zermarterte mir das Hirn nach dem Namen, den ich von Danny gehört hatte.
    »Was meinst du?«, fragte Tommy.
    Da fiel mir der Name ein. »Bacon?«
    Überrascht sah Tommy mich an. »Bei dir hat sich ganz schön was getan«, sagte er. »Ja, ich denke, ein Francis Bacon ist genau das, womit wir’s hier zu tun haben. Selbstporträt.« Er erhob sich vom Sofa und winkte mich rüber zu seinem Schreibtisch, wo er sich hinter einem Stapel Kunstbildbände und aufgeschlagener Kataloge niederließ. »Es fühlt sich richtig an, richtig riechen tut es auch, aber in der Literatur ist nichts drüber zu finden.«
    »Könnten Sie es nicht jemandem zeigen?« Ich war erleichtert, mich über Bilder unterhalten zu dürfen. Wo er es herhatte, fragte ich lieber nicht.
    »Ich will nicht, dass irgendein gescheiterter Immobilienmakler bei Sotheby’s sich aufbläst und das Bild wertlos macht, nur weil’s lange nicht auf dem Markt war. Ich muss irgendwas zur Provenienz finden. Du weißt schon, wer es gekauft hat, wo es ausgestellt war, wo es sich die letzten dreißig Jahre versteckt hat und so weiter.« Er lachte. »Oder mir was ausdenken.«
    Ich nickte. Was ich dazu beitragen sollte, war mir schleierhaft.
    »Setz dich«, sagte er. Ich widersprach nicht. »Hör mal, ich hab nachgedacht. Du bist raus aus der Schule. Du machst deine Flohmarktgeschäfte, um dich über Wasser zu halten.Das ist okay   – gute Methode, das Handwerk zu lernen. Aber reich wird dich das nicht machen, oder?«
    »Nein.«
    »Weißt du, du erinnerst mich ein bisschen an mich selbst, als ich in deinem Alter war. Versuchst, was auf die Beine zu stellen. Ich war Packer   – hab in Billingsgate drüben die Fischkisten gestapelt. Wenn ich abends nach Hause gekommen bin, hab ich gestunken wie eine Heringsbuxe. Viele Weiber hab ich damals nicht gerade abgekriegt.« Er zog an seiner Zigarre, lächelte in sich rein und genoss es, einen auf

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