Long Reach
Hände wie aus Stahl und sein Dialekt East End in Reinkultur. »Prima, dass du hier bist. Hast du vorher schon viel geboxt?«
Ich erzählte ihm, dass ich eine Zeit lang an der Schule geboxt hatte … dass ich mit vierzehn einen Wettkampf gewonnen und auch einen braunen Gürtel im Judo hatte. Darüber musste er lachen.
»Also kein völliger Frischling?« Er zwinkerte mir zu und täuschte einen Schlag an, den ich instinktiv abwehrte. Ich erzählte ihm nicht, dass ich auch noch einen fünftägigen Crashkurs im Töten bei einem walisischen Sadisten hinter mir hatte.
Er führte mich zu einem Umkleideraum und warf mir ein Paar Handschuhe zu. »Wir machen ein paar Runden, damit ich sehe, wo du stehst.«
Ich zog mir ein Unterhemd, Trainingshosen und Boxstiefel an, bevor ich mir die großen, elastischen Sparringhandschuhe überzog und raus in die Halle ging.
Es gab vier Boxringe und in einem davon kämpften zwei Typen: Ein Hüne von einem Schwarzen walzte sich langsam voran, indem er wummernde Jabs gegen die Pratzen seines Trainers knallte.
Anderswo prügelten Boxer auf Speedbälle ein. Von den Wänden hallte der Lärm wider. Andere arbeiteten sich an schweren Sandsäcken ab, die von der Decke herunterbaumelten.Ich kam an einem verschwitzten, muskelbepackten Typen vorbei, der dem Sack mit seinen üblen Haken schwer zusetzte. Jeder Hieb klang wie ein Cricketschläger, der auf ein Ledersofa niedersauste, und ich war heilfroh, dass es nicht meine Rippen waren, die das auffangen durften.
Gary Cribb wartete schon auf mich, obenrum bis aufs Unterhemd entblößt. Er musste an die fünfzig sein, aber er war wirklich gut in Form. Muskulös und hart. Er half mir in den Ring.
»Machst du das schon lange?«, fragte ich.
»Trainieren?«, fragte er. »Ungefähr zwanzig Jahre. Lang genug. Vorher war ich Profi, Mittelgewicht, und davor bei den Marines.«
Das klang nach einem ziemlich guten Herkunftszeugnis für einen richtig harten Saukerl. »Warum hast du mit dem Boxen aufgehört?«, wollte ich wissen.
»Hat zu sehr wehgetan.« Er presste einen Finger gegen seine gebrochene Nase, drückte sie gegen die Oberlippe und lachte. »Also, legen wir mal los.«
Ich jagte ihn durch den Ring und versuchte, die Pratzen zu erwischen, die er immer auf Gesichtshöhe hielt. Er brüllte mich ermutigend an, rief, ich solle auf seine Augen achten und nicht auf die Schlagkissen. Man konnte die Bewegungen des Gegners weitaus besser vorhersagen, wenn man ihm in die Augen sah statt auf die Fäuste, erklärte er. Wenn man auf seine Fäuste guckte, war es meist schon zu spät. Man hatte das Ding im Gesicht und es brach einem die Nase.
Wir boxten eine Runde und er meinte, ich sei ziemlichschnell und treffsicher, aber ich müsse mehr Kraft in meine Führhand legen und auf dem hinteren Fuß schneller werden. Die Wucht hinter meiner Schlaghand müsse direkt von hinten aus der Ferse kommen.
Wir absolvierten eine weitere Runde, in der Gary ebenfalls Handschuhe trug. Er ging auf mich los, jabbte durch meine Abwehr, zeigte mir meine Schwachstellen. Ich stieg ein mit einer guten Linken, die ihn kurz aus der Bahn warf, aber dann ließ ich vor lauter Selbstzufriedenheit die Rechte sinken. Gary zögerte keine Sekunde. Sein linker Haken fand die Lücke und sank seitlich in meinen Schädel. Wir trugen nur dicke, dreihundert Gramm schwere Sparringhandschuhe, aber der Schlag betäubte mich und ich wankte zurück. Von diesem Kerl wollte ich mich im Leben nicht ernsthaft erwischen lassen.
»Alles in Ordnung?«, erkundigte er sich. »Du hast deine Deckung völlig aufgegeben. Tödlicher Fehler.«
Wir legten eine Pause ein und Gary fragte mich, was ich über meinen Gegner wusste. Außer dass er kein großer Stilist war und einen guten Schlag hatte, konnte ich ihm wenig sagen. Gary nickte. Er sagte, er habe Jason Kelly vor ein paar Jahren im Repton Boy’s Club in Bethnal Green kämpfen sehen. Ich müsse versuchen, das Zentrum des Rings zu beherrschen, ihn mit steifen Jabs in Schach halten und beim Voranpreschen ablenken, wie ein Stierkämpfer.
Gary zeigte mir, wie er sich Jasons Taktik vorstellte, hetzte mich mit Kombinationen und einstürmenden Schwingern. Er zeigte mir, wie man in der Ecke des Rings und in den Seilen zurechtkam, wie ich mich verteidigen konnte, währendmein Gegner sich nur auspowerte beim Versuch, mich fertigzumachen. »Rope-a-Dope« nannte er das. Zur Perfektion getrieben von Muhammad Ali beim »Rumble in the Jungle« gegen George Foreman, anno
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