Lord Camerons Versuchung
Schachteln und Taschen, und die Hausmädchen eilten mit Kleidungsstücken hin und her. Ainsley hatte gewusst, dass sie Cameron früher oder später damit konfrontieren musste, aber sie hatte gehofft, dass sein Training ihn heute ein wenig länger draußen beschäftigt halten würde.
Sie zog das Telegramm aus ihrer Tasche und drückte es ihm in die Hand. »Bevor du fragst – deswegen all diese Unruhe.«
Camerons Augen flackerten, als er die Worte las.
Mr Brown ist gegangen. Kommen Sie sofort zu mir.
»Brown?«, knurrte Cameron. »Ist er tot?«
»Ich nehme es an.« Ainsley hielt ein Hausmädchen auf. »Nein, nicht das blaue. Ich brauche das graue und das schwarze. Die Königin wird erwarten, dass ich Trauerkleidung trage.«
Cameron hielt das Telegramm mit spitzen Fingern. »Warum will sie ausgerechnet dich? Sie muss doch noch andere Damen haben, die ihr die Hand halten können.«
»Sie hat mir sehr vertraut, was John Brown angeht, und gestanden, wie sehr sie ihn gemocht hat. Er hat ihr das Leben gerettet, wirklich, das hat er. Ich verstehe, was sie empfindet.«
»Zum Teufel, Ainsley, ich meinte, warum du gehst.«
»Es wird nicht für lange sein. Nur für zwei, drei Wochen, vielleicht einen Monat.«
»Nein.« Das Wort brach aus Cameron heraus, und Ainsley sah ihn überrascht an. »Ein Monat ist viel zu lange.«
»Mein Aufenthalt dort wird mir die Gelegenheit geben, einige Dinge zu regeln, die ich unerledigt gelassen habe. Sie sauber zu Ende zu bringen.«
»Was für Dinge?«
»Dinge, die mit meinem alten Leben zu tun haben. Wie du weißt, bin ich damals ziemlich überstürzt abgereist, nachdem ich mich für dich entschlossen hatte.«
Cameron schlug mit der Hand auf den geöffneten Kofferdeckel, und er klappte laut zu. Das Hausmädchen zuckte zusammen und verließ unauffällig das Zimmer.
»Die Königin hat einen ganzen Stab Dienstboten und Hofdamen, die nach ihrer Pfeife tanzen«, sagte Cameron. »Warum solltest du also gehen?«
Ainsley hatte Victoria schon zuvor in tiefem Kummer erlebt und wusste, wie krank sie sich selbst damit machte. Die Königin war eine robuste Frau, aber mit einem Verlust ging sie nicht besonders gut um. Sie liebte leidenschaftlich, und sie litt leidenschaftlich, in dieser Hinsicht glich sie Cameron.
»Ich habe noch ein Telegramm bekommen, von einer ihrer Hofdamen«, sagte Ainsley. »Die Königin kann nicht laufen, ist sogar unfähig, sich aus ihrem Stuhl zu erheben. Wenn ich es ihr leichter machen und ihr helfen kann, wenn ich als Freundin von ihr gehen kann, dann werde ich hierher zurückkehren und mein Leben beginnen.«
»Dein Leben beginnen? Was zum Teufel hast du denn in diesen letzten fünf Monaten getan?«
»Bitte, Cam, es ist wichtig. Sie braucht mich.«
»Verdammt noch mal, ich brauche dich!«
Ainsley sah ihn stumm an. Cameron stand angespannt da, die Hände in den schmutzigen Handschuhen zu Fäusten geballt.
»Cam, ich werde zurückkommen.«
»Wirst du das?« Die Frage klang bitter.
»Natürlich. Wir sind verheiratet.«
»Nur deshalb?«
»Das ist sehr viel – für mich.«
Cameron wusste, dass sie ihn nicht verstand. Ihre grauen Augen blickten ruhig; sie hatte gerade begonnen, einen Schal zu falten. Der Schal passte zu ihr, Silber und Satin, der über ihre Arme glitt wie ihr Haar über Camerons Körper, wenn sie sich liebten.
Ainsley ging fort – Cameron verlor sie. Allein der Gedanke ließ ihm den kalten Schweiß ausbrechen.
»Wenn ich zurückkomme, wird auch Daniel für ein paar Ferientage hier sein«, sagte Ainsley. »Wir werden wieder eine Familie sein.«
Eine Familie. Wieder. Sie klang so überzeugt, als wäre alles ganz einfach. Cameron und Daniel waren wie zwei Himmelskörper gewesen, die sich auf Distanz und nervös umkreist hatten, und ihnen beiden war das bewusst gewesen. Bis Ainsley gekommen war. Daniel hatte bei jeder Gelegenheit versucht, Ainsley in Camerons Leben hineinzubringen, er war einfach aufgetaucht, um den Winter mit ihnen zu verbringen und dafür zu sorgen, dass sein Vater und Ainsley zusammenfanden. Jetzt war Daniel fort, weil er glaubte, alles sei in Ordnung.
»Du wirst nicht zurückkommen«, sagte Cameron.
»Ich werde zurückkommen. Das sagte ich doch gerade.«
»Du hast es vor. Aber die Königin wird ihre Krallen in dich schlagen, dich in ihre Welt ziehen, in der sie Sonne und Mond ist. Sie mag die MacKenzies nicht, und sie wird alles tun, dich von uns fernzuhalten.«
Ainsley sah verwirrt aus. »Die Königin nimmt deinen Rat
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