Lord der toten Seelen: Royal House of Shadows (German Edition)
sie Braun trug, wie sie es immer getan hatte. Sie strich sich das Haar hinter die Ohren und wollte ihr grobes altes Kleid anziehen, erinnerte sich dann aber, dass es in der Wäsche war. Sie hatte nur noch das schöne schokoladenfarbene Kleid, das Micah ihr gegeben hatte, und das zu zerknittern, konnte sie nicht ertragen.
Nackt bis auf die Unterwäsche, sah sie zur Tür. Es befand sich kein Schloss daran, und sie hatte auch keinen Stuhl, den sie unter die Klinke schieben konnte, aber wer sollte hereinkommen? Bard stand wahrscheinlich vor Jissas Zimmer Wache, wie er es jede Nacht tat, ohne dass die Brownie es wusste. Und der Wächter des Abgrundes hatte es gar nicht abwarten können, weit von Liliana fortzukommen.
„Genug“, brauste sie auf, ärgerlich über ihr Selbstmitleid. „Morgen fange ich an, Druck auf ihn auszuüben. Und zwar fest.“ Micah musste sich bald an sein Schicksal erinnern, sonst wäre alles umsonst.
Micah wusch und wusch sich, aber das Böse klebte noch an ihm wie hartnäckiger Schmutz. Er durfte Liliana so nicht anfassen, durfte sie nicht damit beflecken. Frustriert und wütend fuhr er sich mit den Händen durchs Haar und dachte nur noch daran,
sauber
zu werden.
Magie flüsterte über ihn hinweg, Magie, wie er sie noch nie zuvor gekostet hatte.
Nein.
Das stimmte nicht. Er hatte diese Magie schon einmal gekostet. Vor langer, langer Zeit. Es war
seine
Magie – aber nicht die der Schwarzen Burg. Sie kam aus ihm selbst, flüsterte von einem Ort, der lebendig war … und im Sterben lag. Sein Körper erstarrte, aber ehe er dem unheilvollen Gedanken bis zu seinem Ursprung folgen konnte, war er verschwunden. Und er selbst war sauber.
„Liliana.“ Jetzt konnte er zu ihr gehen. Allerdings stand der Mond, der in wenigen Tagen voll sein würde, schon hoch am Himmel. Es war spät, und sie würde schon fest schlafend im Bett liegen.
Vielleicht nackt.
Er lächelte so breit, dass er seine Zähne zeigte, und öffnete die Tür.
Da er sie in ein Zimmer gesteckt hatte, das niemand erreichen konnte, ohne zuerst an seinem vorbeizukommen, konnte er schnellen Schrittes zu ihr gehen. Unter ihrer Tür drang kein Licht hervor, aber er zögerte keine Sekunde; er war zu hungrig auf ihren Geschmack, um sich darüber Gedanken zu machen, dass er sie aufweckte. Immerhin wusste sie ganz genau, dass er nicht zivilisiert war.
Der Raum war in helles Mondlicht getaucht. Liliana lag auf dem Bauch, ihr Gesicht halb im Kissen verborgen, die Decke bis kurz unter die Schulterblätter hochgezogen. Die Schultern waren nackt und glänzten warm.
Er ballte die Hände zu Fäusten und schloss die Tür sehr leise hinter sich. Dann betrachtete er sie einfach. Vielleicht sollte er ihre Privatsphäre nicht auf diese Weise missachten, aber es war ihm egal, solange es um seine Geschichtenerzählerin ging. Er ließ seinen Blick ihren Körper hinabgleiten und wünschte sich, die Decke würde verschwinden … Dann lächelte er in sich hinein, weil es dazu keine Magie benötigte.
Er durchquerte den Raum, bis er …
Er erstarrte. Noch nie hatte er ihren Rücken aus der Nähe gesehen. Im Bad war er im dampfenden Wasser verborgen gewesen, hinter den überkreuzten Bändern des roten Kleides hatte er die Striemen nicht deutlich erkannt, aber jetzt stand seiner Sicht nichts im Weg. Wut stieg in ihm auf wie ein wildes Tier. Wer hatte es gewagt, Hand an sie zu legen?
Wer?
Erzürnt zog er die Decke weiter herunter, um zu sehen, bis wohin die Striemen reichten.
Sie waren breit und weiß und erhaben, und er erkannte genau, dass sie von einer Peitsche stammten.
Nicht von einem einzigen Mal. Es mussten wiederholte und brutale Schläge mit der Peitsche gewesen sein, die dieses Muster aus Narben geschaffen hatten, das bis auf ihre gerundete Taille hinabreichte. Er schob die Decke nicht noch weiter hinab, auch wenn er voller Wut jeden Zentimeter des Schadens untersuchen wollte.
Bebend und doch nicht wagend, sie zu berühren, wandte er sich ab und starrte den Mond an. Aber er konnte das Zimmer nicht verlassen, konnte nicht gehen, ohne Antworten auf seine Fragen bekommen zu haben. Sobald er sich zutraute zu sprechen, ohne zu brüllen, setzte er sich auf das Bett neben die schlafende Liliana. Sie regte sich sofort. Alarmiert spannte sie die Schultern an, und ihre Hände ballten sich auf dem Kissen zu Fäusten.
„Liliana.“
„Was machst du hier?“ Mit einem Ruck zog sie die Decke wieder über sich.
Er beruhigte sie, indem er ihr einfach flach die
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