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Lord Gamma

Lord Gamma

Titel: Lord Gamma Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Marrak
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hielt sie mir hin. In ihr lagen acht selbstgedrehte Tabakröllchen nebst Streichhölzern. Ich starrte erst ihn, dann die Zigaretten verdutzt an, fingerte umständlich einen der dargebotenen Glimmstengel heraus und steckte ihn mir zwischen die Lippen. Gamma verstaute die Schachtel wieder in seinen Gewändern. Dann hielt er eines der Streichhölzer in den Fingern, brachte es mit einem Schnippen seines Fingernagels zum Brennen und hielt es an die Spitze meiner Zigarette. Ich zog an ihr und sah sie wie ein kleines Buschfeuer bis zu meinen Fingerkuppen abbrennen, wo sie noch einige kleine Funken versprühte und verlosch.
    »Was hältst du davon?« fragte Gamma.
    »Recht gut«, log ich, »bis auf die Tatsache, daß sie mehr Nitrate zu enthalten scheint als Tabak.«
    »Verschiedene Paragone sagten mir schon dasselbe.« Gamma sah hinüber zu Prill, kümmerte sich jedoch nicht weiter um sie, sondern wandte sich um und schritt zurück zur Tür. »Du mußt hungrig sein«, sagte er. Als er bemerkte, daß ich mich nicht rührte, rief er über seine Schulter: »Na los, worauf wartest du?«
    »Was geschieht mit Prill? Wir können sie hier nicht einfach liegenlassen.«
    »Das Sublime wird sich um sie kümmern, sobald es sie lokalisiert hat«, vernahm ich seine sich entfernende Stimme.
    Ich sah auf ihren leblos wirkenden Körper. Und wie lange wird das dauern? rief ich Gamma im Geiste hinterher. Stunden? Tage? Vielleicht Wochen? Bis sie in dieser Totenstadt jemand fand, zeugten von Prill vielleicht nur noch nackte Gebeine. Besaßen Klone Gebeine? Ich ballte in hilfloser Wut die Hände. Gammas Läufer beobachtete mich, und mir war, als tippte er mit einem seiner Vorderbeine ungeduldig auf den Boden. Ich atmete tief durch, gab mir einen Ruck und folgte – einen Bogen um die Maschine schlagend – Gamma in einen Gang, der sich wie eine Spirale in die Tiefen der Stadt wand. Laternen, die alle zehn Schritte beidseitig des Ganges angebracht waren, erhellten den Weg. Der Läufer bildete die Nachhut, schlich wie eine klappernde Schreibmaschine an der Wand entlang und behielt mich stets im Visier.
     
    Konsterniert betrachtete ich die beiden straußeneigroßen Objekte vor mir. Offenbarung hatte ich erwartet; eine Sendestation, in der sich außerirdische Technik bis hoch zur Decke türmte, ein riesiges Labor, ein Kraftwerk, Energieblitze, brummende Generatoren, einen unermeßlichen Hangar, angefüllt mit den Leibern von Flugzeugen, Hunderte von Menschen in riesigen, transparenten Nährstoffbassins, monströse Maschinen, die Arbeiten verrichteten und tausende von Klonen züchteten, ein vierdimensionales Etwas, dessen alleiniges Betrachten jede meiner Fragen beantwortete, Gott, Schöpfung, Allmacht – das Sublime.
    Statt dessen hatte mich Gamma in eine muffige Kaschemme geführt und am einzigen Tisch Platz genommen, der gedeckt war. Er bezeichnete diesen Ort als ›Schlupfwinkel für den Augenblick‹. Einen derartigen Raum, tief unter dem Zentrum der Stadt, hatte ich als letztes erwartet. Ich fühlte mich wie im Refektorium eines arabischen Höhlenklosters. Wasserpfeifen aus Messing beanspruchten die eine Hälfte des Raumes, jeweils umringt von drei Sitzkissen. Neben jedem Kissen stand ein Spucknapf aus Bronze und ein Kelch mit glimmendem Weihrauch. Auf unserer Seite umgaben uns acht runde, von Hockern umlagerte Holztische. Die Decke war so niedrig, daß ich beim Eintreten meinen Kopf hatte einziehen müssen.
    Das Menü: Gedeck für eine Person. Ein mit undefinierbarer Flüssigkeit gefüllter Krug, ein Teller, ein Löffel. Auf dem Teller: zwei übergroße Eier. Außergewöhnlich war, daß sie im Zwielicht silbern leuchteten. Der Tisch war so alt, daß ich befürchtete, er würde unter dem Gewicht meiner Ellbogen zusammenbrechen. Kupferstiche, ausgedientes Geschirr, Waffen und Teppiche schmückten die Wände. In die mir gegenüberliegende Wand war ein mächtiges Aquarium eingelassen, in dem Goldfische schwammen. Die dicke Trennscheibe und das Wasser verzerrten sie zu karpfengroßen Monstern. Sie klebten schaulustig am Glas und starrten kollektiv zu uns herüber. Ich fühlte mich bereits nach kurzer Zeit von ihnen beobachtet.
    Im Hintergrund des Raumes befand sich eine Theke, doch auch sie war verwaist. Gamma und ich waren die einzigen ›Gäste‹. Nur der goldene Läufer leistete uns Gesellschaft. Er ruhte bewegungslos neben unserem Tisch und ließ seine Antennen bei jedem Geräusch aufmerksam rotieren. Wortlos schlug ich mit dem Holzlöffel

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