Lord Garrows widerspenstige Braut
zaghaft anlächelte. "Aber nun sag mir endlich, wer der Mann ist, der uns entgegenläuft. Er sieht aus, als würde er jeden Moment vor Erschöpfung zusammenbrechen."
"Der da draußen? Das ist Orvie."
"Ist er verrückt, so zu rasen?"
"Manche behaupten, dass er verrückt ist", gab James zu.
"Er ist ein Irrer?" hakte sie nach. Ihre Besorgnis verwandelte sich in Furcht.
"Orvie ist ein großes Kind. Er ist nicht gefährlich." Er nahm seinen Spazierstock, klopfte an die Decke der Kutsche und setzte sich neben Susanna. Als die Kutsche abrupt anhielt, wandte er sich an seine Frau. "Er wird mitfahren wollen. Ich hoffe, es macht dir nichts aus."
Bevor sie antworten konnte, erschien Orvies Gesicht im Fenster. "James! Wo bist du gewesen?"
"In der Stadt, Orvie. In Edinburgh." James öffnete die Tür. "Nun komm schon rein. Ich helfe dir." Er griff nach der großen Hand, die ihm entgegengestreckt wurde, und zog Orvie in den Wagen. Die Kutsche schwankte bedenklich, als sich der junge Mann auf der gegenüberliegenden Kutschbank niederließ.
James klopfte erneut mit dem Spazierstock an die Decke, und die Kutsche machte wieder Fahrt. "Orvie, das ist meine Frau, Lady Susanna."
"Haben Sie Kinder?" fragte er und warf ihr einen kurzen Blick zu.
Susanna holte tief Luft. Was sollte sie auf eine solche Frage antworten? "Nein", entgegnete sie knapp.
"James mag Kinder", erklärte Orvie bestimmt. "Wir haben jetzt zwei Dutzend in Galioch. Das sind dann insgesamt, mmh, sechsundzwanzig. Das stimmt doch, James?" Er starrte auf seine Finger.
"Vierundzwanzig", korrigierte ihn James.
"Aber Margie hat Zwillinge!" argumentierte Orvie.
"Dann sind es doch sechsundzwanzig. Sehr gut, Orvie!"
Orvie war ein Riese von einem Mann, fast so groß wie James selbst. Sein merkwürdiger Gang und die vielen schlecht sitzenden Schichten von Kleidung, die er übereinander trug, ließen ihn wie einen fetten alten Mann wirken, obwohl er lediglich stämmig war. Obwohl er wohl schon an die dreißig Jahre alt sein musste, wirkte er wie ein Siebenjähriger.
"Hast du mir etwas mitgebracht, James?" fragte er mit kindlich hoher Stimme.
James griff in die Tasche seines Mantels und zog einen runden Kiesel daraus hervor, der etwa halb so groß war wie seine Faust. "Der da ist für dich, Junge. Das ist ein Stein von einem großen Sieg bei Stirling. Du weißt doch, wo Wallace an der Brücke die Longshanks so vernichtend schlug, dass sie bis Lunnon davonrannten. 1297 war das, Orvie. Überleg mal, 1297, vor fast sechshundert Jahren!" erzählte er mit betont geheimnisvoller Stimme.
Orvie machte große Augen. "Danke", sagte er und drehte den Stein ehrfürchtig zwischen den Fingern. Plötzlich schlug er mit den Fingern gegen die Tür. "Ich will raus."
James ließ den Wagen halten, dann sah er zu, wie Orvie ungeschickt aus der Kutsche kletterte und lauthals singend die Straße entlanglief. Den Stein hielt er dabei in die Höhe, als wäre er eine Reliquie.
"Du solltest dich schämen, James", sagte Susanna tadelnd. "Solche Lügengeschichten zu erzählen! Du hast den Stein bei unserem letzten Halt aufgehoben, nicht in der Nähe der Stirling Bridge. Ich habe es selbst gesehen!"
"Mag sein. Aber ich will Orvie ja nur ein wenig Geschichte beibringen. Er wird jedem erzählen, was ich gesagt habe, und sich das alles dadurch merken."
Sie biss sich auf ihre Oberlippe.
"Bedauere den Jungen nicht zu sehr", warnte James. "Er ist nicht dumm, nur kindlich geblieben. Wenn du ihn bedauerst, dann nutzt er dich aus."
Liebevoll sah Susanna zu ihm auf. "Es ist wundervoll, dass du dir so viel Mühe gibst, deine Leute zu unterrichten – vor allem jemanden wie ihn."
"Oh, Orvie gehört nicht zu meinen Leuten, sondern zu deinen", stellte James klar.
"Er ist aus Drevers?"
"Ja."
"Ich bin für ihn verantwortlich?"
"Er ist in Drevers geboren. Aber er gehört zu uns allen." James war über Susannas Mitgefühl erfreut. Aber Frauen hatten ja bekanntlich ein Herz für Kinder, Kranke und kleine Tiere. Was würde passieren, wenn sie seine Clansleute traf? Er schluckte. Es war seine Aufgabe, dafür zu sorgen, dass sie sich in ihre Gesellschaft einfügte.
Susanna strahlte ihn an. Sie fühlte sich nach dem Zusammentreffen mit dem armen Orvie sehr viel besser. Solch ein Verhalten hätte sie von James nicht erwartet. Nun, das stimmte nicht ganz. Auch ihr gegenüber war James immer sehr rücksichtsvoll gewesen. Allerdings hatte sie stets geargwöhnt, dass das aus männlicher Überheblichkeit heraus
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