Lord Garrows widerspenstige Braut
geschah. Unter all seinem herrischen Gehabe verbargen sich tatsächlich tiefe Empfindungen.
Glücklicherweise war James auch schnell darüber hinweggekommen, dass sie ohne sein Wissen Geld ausgegeben hatte. Das überraschte sie noch mehr als die Tatsache, dass er sie wegen ihrer Eigenmacht weder angebrüllt noch geschlagen hatte. Die meisten Männer hätten wohl sehr viel unbeherrschter reagiert. Mittlerweile schien er ihr eigenmächtiges Verhalten sogar schon wieder vergessen zu haben. Er war ihr ein Rätsel.
Die Kutsche hielt erneut – dieses Mal endgültig. Susanna wandte ihren Blick von James ab und sah durch das Fenster auf die Mauern von Galioch. Sie blickte nach oben. Das Gebäude, vor dem sie sich befanden, wirkte primitiv und abweisend. Es bestand aus zwei mächtigen, durch ein schmales Gebäude miteinander verbundenen Türmen, die jeweils vier Stockwerke hoch waren. Schmale Fenster prägten die Fassade, die Türme waren mit Zinnen bewehrt. Für eine Burg war das Gebäude recht klein.
Um die Mauern herum waren irgendwann Bäume und Buchsbaumhecken gepflanzt worden, die nun völlig verwildert waren. Bunte Blumen blühten hier und dort. Sie bildeten die einzigen Farbtupfer vor den graugelben Außenmauern und wirkten so fremd in dieser Heidelandschaft, wie es schottischer Stechginster auf einer der Rasenflächen ihres Vaters täte. Es ist alles so fremdartig hier, dachte Susanna bedrückt.
Mittlerweile hatte James die Kutsche verlassen. "Willkommen in Galioch", meinte er förmlich, während er darauf zu warten schien, dass sie aus der Kutsche stieg. Sein Highland-Dialekt war ausnahmsweise kaum zu hören.
"Ich bin froh, dass wir endlich da sind", erwiderte Susanna tapfer, glättete ihre Röcke und rückte ihren Hut zurecht. "Wo ist die Dienerschaft?"
Sie hatte nicht erwartet, dass das Personal am Rande der Auffahrt stand, aber dass überhaupt niemand zu sehen war, überraschte sie.
"Dienerschaft? Ich hoffe, meine Leute arbeiten! Hier im Gebäude gibt es kaum etwas zu tun. Aber Orvie wird überall herumerzählen, dass wir da sind. Nach und nach werden die Leute aus der Gegend sicher aus Neugier hier vorbeikommen. Ich fürchte allerdings, dass Orvie deine Anwesenheit über den Stein vergessen hat."
"Ich bin noch nie so vollkommen ignoriert worden!" gestand Susanna ihm lachend.
Er lächelte sie an. "Mir gefällt es, wenn du lachst. Bewahr dir deinen Humor."
Nun, das klingt einschüchternd, dachte Susanna. James öffnete die große Eingangstür im Verbindungsgebäude und trat beiseite, um sie einzulassen. Susanna schritt durch einen kleinen Vorraum, eine Art Windfang, und wähnte sich dann in einer anderen Welt. Verwundert blieb sie stehen und sah sich um. "Oh … das ist ja … das ist wunderschön!" flüsterte sie. "Wie beeindruckend."
"Beeindruckend?" meinte James ungläubig, der hinter ihr in die Eingangshalle getreten war. Auch er blickte sich um. Hatte sich etwas verändert?
"Aber ja!" Obwohl sie die Worte hauchte, hallten sie von den Wänden der hohen Halle wider. "Es wirkt so … altertümlich. So … mittelalterlich. Wie wunderwunderschön!"
James murmelte etwas, das wie "Über Geschmack lässt sich streiten!" klang, bevor er Susanna am Arm nahm und sie quer durch die düstere Halle führte. Durch schmale hohe Fenster zu beiden Seiten des riesigen Kamins fiel Licht in den Raum. Susanna sah an den unverputzten Bruchsteinwänden nach oben zur mächtigen Decke, die sich wie ein gotisches Kirchenschiff über ihr wölbte.
Wie romantisch! Eine Vision von einem riesigen Feuer im Kamin auf der anderen Seite der Halle tauchte vor ihrem geistigen Auge auf. Lange, schmale Tische standen davor, alle mit weißen Tüchern, großen Bratenschüsseln, Brotkörben und Schalen voller Früchte bedeckt. Aus Silber getriebene Becher funkelten im Feuerschein. Bunt gewandete Damen und Ritter in silbern glänzenden Rüstungen hatten hier vor langen Zeiten gestanden … Und Schwerter, große blitzende zweischneidige Schwerter hingen in der Apsis über dem Kaminsims …
"Eine leere Leinwand", murmelte sie. Jemand hatte den Raum geleert, damit sie ihn mit ihren eigenen Träumen füllen konnte. Inständig hoffte sie, dass auch der Rest des Gebäudes so war. "Einfach bezaubernd", wiederholte sie schwärmerisch.
"Geht es dir gut?" erkundigte sich James besorgt.
Sie verdrängte alle Gedanken an künftige Taten und blickte ihn an. "Oh, mir geht es wirklich hervorragend."
Susanna senkte den Blick. Urplötzlich wusste sie,
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