Lord Peter 03 - Keines natürlichen Todes
wissend.
»Ich kann mich gut erinnern, wie sie noch immer auf die Fuchsjagd geritten ist, da war sie schon gut über Sechzig«, fuhr Mrs. Piggin fort, »und das war keine, die auf ein Loch in der Hecke wartete. Aber Miss Dawson – das war ihre Freundin, die bei ihr gewohnt hat, drüben im Gutshaus hinter der steinernen Brücke – die war da ängstlicher. Sie hat immer die Tore gesucht, und wir haben oft gesagt, die würde überhaupt nicht reiten, wenn sie nicht so an Miss Whittaker hinge, daß sie sie nicht aus den Augen lassen will. Na ja, nicht alle Menschen können gleich sein, nicht wahr, Sir? – und diese Miss Whittaker war ja nun ganz aus der Art. So was gibt es heutzutage gar nicht mehr. Nicht, daß die modernen jungen Mädchen nicht auch ganz schön auf Draht wären, viele jedenfalls, die machen ja vieles, was wir früher noch als ganz schön gewagt angesehen hätten – aber diese Miss Whittaker, die hat auch den Kopf dafür gehabt. Die hat ihre Pferde selbst eingekauft und gepflegt und gezüchtet, da hat sie von niemandem einen Rat gebraucht.«
»Eine prächtige Frau muß das gewesen sein«, sagte Wimsey von ganzem Herzen. »Die hätte ich gern gekannt. Ein paar Freunde von mir waren ganz gut mit Miss Dawson bekannt – das heißt, da lebte sie schon in Hampshire.«
»Wirklich, Sir? Sonderbare Zufälle gibt’s, was? Sie war eine sehr freundliche und nette Dame. Wir haben gehört, sie ist jetzt auch tot. An Krebs gestorben, nicht? Schrecklich, die arme Seele. Aber wie nett, daß Sie sozusagen mit ihr bekannt waren. Da interessieren Sie sich doch bestimmt für unsere Photos von der Croftoner Jagd. Jim!«
»Ja?«
»Zeig doch diesen Herren mal die Photos von Miss Whittaker und Miss Dawson. Sie kennen Freunde von Miss Dawson unten in Hampshire. Kommen Sie hierher, Sir – wenn Sie wirklich nichts mehr möchten, Sir.«
Mrs. Piggin führte sie in eine gemütliche kleine Privatbar, wo etliche Männer in Jagdkleidung noch ein letztes Glas genossen, bevor die Schenke zumachte. Mr. Piggin, korpulent und freundlich wie seine Frau, kam ihnen entgegen, um sie gebührend zu begrüßen.
»Was trinken Sie, meine Herren? – Joe, zwei Krüge von dem Winterbier. Wie schön, daß Sie unsere Miss Dawson kennen. Mein Gott, die Welt ist klein, das sage ich oft zu meiner Frau. Hier ist das letzte Bild, das wir von ihnen gemacht haben, beim Jagdtreffen 1918 am Gutshaus. War natürlich kein richtiges Jagdtreffen, wie Sie sich denken können, denn schließlich war Krieg, und die Herren waren alle fort und die Pferde auch – da haben wir nicht alles so richtig machen können wie früher. Aber wo sich doch die Füchse so vermehrt haben und die Meuten vor die Hunde gingen … Haha! Das hab ich oft hier in der Bar gesagt – die Meuten gehen vor die Hunde, hab ich gesagt. Das haben sie immer gut gefunden. Da hat manch einer von den Herren gelacht, wenn ich gesagt habe, die Meuten, sag ich, gehen vor die Hunde … Na ja, wie gesagt, Colonel Fletcher, und so einige von den älteren Herren, die haben gesagt, irgendwie müssen wir weitermachen, haben sie gesagt, und da haben wir dann sozusagen die eine oder andere kleine Jagd gemacht, nur damit die Meuten nicht kaputtgingen, sozusagen. Und Miss Whittaker, die hat gesagt: ›Machen Sie das Jagdtreffen am Gutshaus, Colonel‹, sagt sie, ›vielleicht ist es das letzte, das ich zu sehen bekomme‹, sagt sie. Und so ist es dann auch gekommen. Die arme Frau, zu Neujahr hat sie der Schlag getroffen. 1922 ist sie gestorben. Das hier ist sie, die in dem Ponywagen sitzt, mit Miss Dawson neben sich. Die Fuchsjagden hatte Miss Whittaker natürlich schon vor Jahren aufgeben müssen. Sie wurde ja älter. Aber immer ist sie mit dem Wagen hinterhergefahren, bis zuletzt. Hübsche alte Dame, nicht wahr, Sir?«
Lord Peter und Parker betrachteten mit großem Interesse die ziemlich grimmig dreinblickende alte Frau, die dort in unnachgiebig aufrechter Haltung saß und die Zügel in der Hand hielt. Ein hartes, wettergegerbtes, altes Gesicht, aber durchaus noch hübsch mit der großen Nase und den geraden, dichten Brauen. Neben ihr saß die kleinere, pummeligere und weiblichere Agatha Dawson, deren denkwürdiger Tod sie in diesen stillen ländlichen Ort geführt hatte. Sie hatte ein süßes, lächelndes Gesicht – nicht so herrisch wie das ihrer gestrengen Freundin, aber voll Mut und Charakter. Zweifellos hatten die beiden alten Damen ein bemerkenswertes Pärchen abgegeben.
Lord Peter erkundigte
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