Lord Tedric 01 - Lord Tedric
furchtsam.«
»Wer sind sie?« fragte Nolan.
»Das wirst du schon bald genug erfahren.« Jania setzte sich wieder in Bewegung, und die drei Männer folgten ihr. Wie die spitz zulaufende Klinge eines Schwertes schien sich der Tunnel auf einen Punkt hin zu verjüngen.
»Ich kann mich an diesen Teil nicht mehr erinnern, Jania«, bemerkte Keller.
»Nein, das kannst du nicht, wenn du niemals hier unten gearbeitet hast. Das ist ausgeschlossen. Nur wenigen Aufsehern war dieser Ort vor der Rebellion bekannt, auch wir haben ihn erst später kennengelernt.« In dieser Antwort glaubte Tedric das erste Anzeichen dafür zu verspüren, daß Jania in Keller ihren Ehemann erkannte.
Inzwischen war der Schacht so eng geworden, daß Tedric den Kopf einziehen mußte und nur in gebeugter Haltung weitergehen konnte. Jania verlangsamte den Schritt, und gelegentlich sah Tedric im Licht ihres Scheinwerfers kleine helle Flecken auf den dunklen Felsen aufglühen. Das Dalkanium, vermutete er. Hier und dort schimmerte es durch das Dunkel des Schachtes wie die spähenden Augen von kleinen, bewegungslosen Insekten.
Die Arbeitsgeräusche vor ihnen wurden lauter. Jania verhielt den Schritt, schweratmend wandte sie sich um. Lag das an der dünnen Luft, oder gab es einen anderen Grund dafür?
»Ich werde jetzt das Licht dämpfen müssen, laßt euch dadurch nicht erschrecken.«
»In Ordnung.« Tedric fühlte sich wie ein Jäger, der sich an ein unsichtbares Wild heranpirschte. ›Doch wie sah dieses Wild aus?‹, fragte er sich. Dem Geräusch der Schaufeln und Hacken nach zu urteilen waren es Menschen. Trotzdem verspürte er eine starke Beklommenheit, sein sechster Sinn sagte ihm, daß hier irgend etwas nicht stimmte. Vorsichtig bewegte die Gruppe sich weiter. Tedric fragte sich, ob er wirklich das Ende des Tunnels erreichen wollte.
Plötzlich verstummten die Arbeitsgeräusche. Um sie herum herrschte eine tödliche Stille. ›Sie hören uns‹, dachte Tedric. ›Sie wissen, daß wir kommen. Doch wer? Oder was?‹
»Still«, flüsterte Jania. »Sagt jetzt kein Wort mehr, versucht, jedes Geräusch zu vermeiden.« Vorsichtig tat sie einen Schritt nach vorn. Tedric folgte ihr, hinter ihm Nolan und Keller.
Nahezu geräuschlos arbeiteten sie sich weiter vor, bis der Tunnel überraschend eine Biegung machte und in einer niedrigen Höhle endete, an deren entgegengesetztem Ende sich Boden und Decke vereinigten. Jania legte sich vorsichtig auf den Bauch, Tedric spähte über ihre Schultern. Ihre Körper blockierten den Durchgang. Jania richtete den Strahl ihrer Lampe in die Höhle.
Die drei Männer trauten ihren Augen kaum. Tedric schluckte mühsam, Nolan konnte gerade noch einen entsetzten Aufschrei unterdrücken. Keller murmelte fassungslos: »O nein, das darf nicht wahr sein.«
»Verhaltet euch ruhig!«, flüsterte Jania. »Schaut sie euch an, aber bewegt euch nicht und sprecht nicht miteinander. Sie sind sehr schreckhaft.«
Am anderen Ende des Tunnels – der Spitze des Schwertes – standen fünf von ihnen, aber fünf ... was? Männer? Frauen? Oder gar Kinder? Fünf Kreaturen – fünf kaum mehr als Menschen zu bezeichnende Lebewesen. Keins von ihnen war größer als einen Meter, ihre Oberkörper hatten die Ausmaße eines normal gewachsenen Mannes, doch ihre Beine und Füße waren derart verkümmert, daß man sie kaum mehr wahrnahm. Ihre Hände – riesige Pranken – schleiften sie an dünnen, überlangen Armen über den Boden. Und dann ihre Augen. Ihre Augen waren riesige, leere, schwarze Löcher.
»Sie sind blind«, flüsterte Tedric. In seiner Stimme schwang Mitleid mit.
Jania lachte leise. »Nein, sie können richtig sehen. Nicht mit ihren Augen, doch sie können sehen.«
»Das sind keine Menschen.«
»Es sind Menschen. Nicht wie du und ich. Keine Menschen, keine Untermenschen.«
»Sie sind genau so.«
Die fünf Kreaturen schienen erregt und aufgeschreckt. Sie watschelten aufgeregt hin und her, versuchten, dem Lichtstrahl von Janias Lampe zu entgehen. Dabei stießen sie durchdringende, gellende Schreie aus. Jania dämpfte das Licht, bis sie die fünf Wesen nur noch als Schatten wahrnehmen konnten.
»Das ... so etwas kann nicht existieren«, keuchte Nolan.
»Es existiert aber.« Plötzlich hatte Janias Stimme einen scharfen Klang. »Du hast es ebenso gesehen wie ich. Oder wollen wir unsere eigenen Augen Lügen strafen?«
»Doch ... doch wie? Und warum?«
»Wie? Generationen hindurch haben die Arbeiter ihre Söhne in diesen
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