Lord Tedric 01 - Lord Tedric
Erklärung für eine viel komplexere Situation, als sich jeder von ihnen bis jetzt vorstellen konnte.
Immer noch kichernd versuchte Jania, Nolans Frage bezüglich ihrer Zukunft zu beantworten.
»Offen gesagt, habe ich mich noch nicht zu einem definitiven Entschluß durchringen können. Ich will euch trotzdem etwas verraten: die Mehrheit von uns ist dagegen, euch zu töten.«
»Wenigstens etwas, das sinnvoll ist«, brummte Nolan. »Denn wir könnten euch behilflich sein, Jania, eure Probleme höheren Ortes vorzutragen.«
»Nein!« Sie lachte freudlos. »Versucht nicht, mir mit falschen Versprechungen Sand in die Augen zu streuen. Niemand kann uns helfen, noch nicht einmal wir selbst.«
»Was also habt ihr mit uns vor?« Tedric sah nun, nachdem Nolan davon angefangen hatte, keinen Grund mehr, dieses Thema vorläufig auszuklammern.
»Höchstwahrscheinlich das gleiche, was ihr bisher mit uns gemacht habt. Wir werden euch arbeiten lassen – euch, und die anderen Aufseher. Ihr sollt einen Geschmack davon bekommen, zu welchem Leben wir durch euch gezwungen worden sind.«
»Du kannst uns doch nicht dafür verantwortlich machen«, rief Nolan aus. »Der Kampf meiner Familie gegen das ausbeuterische Arbeitssystem ist schon Geschichte geworden. Die Careys sind es, die ihr für euer Elend verantwortlich machen müßt.«
»Wir haben sie nicht, dafür aber euch.«
»Das ist nicht fair.«
»Das auch nicht«, sagte sie, wobei sie mit einer Handbewegung auf ihre Umgebung deutete.
Am meisten hatte Tedric die Tatsache verwundert, daß die Minenarbeiter trotz erster Erfolge ihrer Rebellion immer noch ihrer Arbeit nachgingen. Er hatte Jania seine Beobachtung mitgeteilt und von ihr erfahren, daß sie in der ersten Zeit tatsächlich ihre Arbeit niedergelegt hatten.
»Doch plötzlich hatten sie zu viel Zeit«, sagte sie, »und was kann man mit viel Zeit hier unten schon anfangen? Essen? Schlafen? Nach einer gewissen Zeit wird das zu langweilig. Bücher lesen? Videobänder anschauen? Die meisten von uns haben dafür zu schlechte Augen. Still abwarten und hoffen, daß jemand kommt und uns rettet? Nein, dieser Zustand war nichts für uns, deswegen haben wir die Arbeit wieder aufgenommen. Zuerst geschah es nur vereinzelt, einer fing damit an, dann der nächste, bis alle wieder, wie du gesehen hast, arbeiteten. Bevor ihr gekommen seid, habe ich selber an der Hacke gearbeitet. Ich haßte mich dafür, ich ekelte mich vor mir selbst, doch was sonst sollte ich tun?«
Für Tedric war diese Erklärung vielleicht die schrecklichste Erfahrung, die er an diesem Tag gemacht hatte.
Die Lore verlangsamte nun ihre Fahrt. Tedric ließ die Rückenlehne los und richtete sich in seinem Sitz auf. Er hörte das leise Zischen der Bremsen und erkannte im Schein der Armaturenbeleuchtung Janias kraftvolle Handbewegungen. Der Wagen beendete die Abfahrt und rollte auf einer ebenen Plattform aus.
»Hier«, erklärte Jania, »hier ist das Ende. Kommt mit, ihr müßt aussteigen, um das zu sehen.«
»Müssen wir dafür nicht erst gewisse Sicherheitsvorkehrungen treffen?«, fragte Nolan.
»Du meinst wegen des Dalkaniums? Nein, wohl kaum. Ihr werdet es überleben, macht euch keine Gedanken. Es wird euch nicht schaden.«
Mit diesen Worten griff sie nach vorn, berührte einen Kontrollknopf, ließ gleichzeitig den außen an der Lore angebrachten Suchscheinwerfer aufflammen und das Wagendach zurückrollen. Jania und Tedric sprangen über die Seitenwand heraus, zögernd folgten ihnen Nolan und Keller. Im schwachen Lichtkegel des Suchscheinwerfers war außer den Felswänden und dem Boden des engen Tunnels nichts zu erkennen. Trotzdem hörte Tedric etwas weiter vorn das ihm nun schon vertraute Geräusch von Hacken und Schaufeln. Auch bemerkte er, daß die Gleise hier endeten. Jania hatte recht, hier war tatsächlich das Ende ihrer Welt.
»Folgt mir!« Jania schaltete einen kleinen Handscheinwerfer ein und führte sie tiefer in den Stollen hinein. Der Schacht verengte sich, die Decke senkte sich immer tiefer herab. Außerdem war es kalt, die Luft dünn und feucht. Zitternd rieb sich Nolan die Arme, seine Zähne schlugen heftig aufeinander.
Plötzlich schrie jemand wild auf. Sofort blieben die vier stehen, und Tedric hörte in der undurchdringlichen Finsternis vor ihnen das Trappeln von fliehenden Füßen. Das Geräusch schien eher von Tieren verursacht zu sein als von Menschen.
»Seid vorsichtig«, flüsterte Jania. »Sie werden uns nichts tun, doch sie sind sehr
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