Lord Tedric 03 - Die Raumfestung
Sicht auf das begrenzte, was die Augen wahrnahmen, der war viel blinder, als sie es jemals hätte sein können.
Der Unfall, durch den sie das Augenlicht verloren hatte, war geschehen, als sie noch ein kleines Kind gewesen war, und ihre Erinnerung an die Zeit davor, als ihre Augen noch intakt gewesen waren, beschränkte sich auf wenige Augenblicke, die ihr hauptsächlich beim Träumen kamen. Es machte nichts. Sie brauchte sich nicht daran zu erinnern, sie wußte, wie das war, zu sehen. Ihr Vater, Melor Carey, war der mächtigste Mann im ganzen Reich gewesen, aber einen Menschen hatte er niemals beherrschen können, und das war seine einzige Tochter. Und als Alyc darum gebeten hatte, ihn auf ihrer Familienyacht Blauer Adler zu begleiten, die ins All reisen würde, um die entstehende Nova des Sterns KC97L zu beobachten, da hatte er nicht gewußt, wie er es ihr hätte abschlagen können.
Nicht, daß sie es ihm verübelt hätte. Ihr Vater war niemals ein gütiger oder ein guter Mensch gewesen, aber er hatte ihr auch nie wirklichen Schaden zufügen wollen. Wenn sie irgend jemandem die Schuld an dem Unfall zusprechen würde, durch den sie ihr Augenlicht verloren hatte, dann war sie selbst es, und das tat sie auch nicht gern, da Selbsthaß letztendlich sinnlos war, und sie glaubte, daß sie inzwischen zu schlau geworden war, um überhaupt noch hassen zu können.
Selbst jetzt konnte sie sich nur unter Schmerzen an jenen Augenblick erinnern. Die Pein war unbeschreiblich gewesen, wie eine heiße Rasierklinge, die das ungeschützte Auge durchschlitzte. Und man hatte sie auf jeden Fall gewarnt. Immer und immer wieder. Ihr Vater und seine Besatzung. Blick nicht hin. Nicht einmal verstohlen. Wenn der Stern explodiert, dann sieh es dir auf den Bildschirmen an, und zwar nur auf den Bildschirmen.
Sie hatte ihnen nicht geglaubt. Entweder das, oder es war ihre eigene Arroganz gewesen, die sie davon überzeugt hatte, daß nichts, was andere verletzen könnte, auch der Tochter von Melor Carey schaden könnte. Also hatte sie die Luke geöffnet. Nur einen Zentimeter. Nur, um mal hinauszuspähen. Es schien so absurd, so weit hergereist zu sein, um dann nichts sehen zu dürfen, was man nicht später auch auf einem 3-D-Nachrichtenband hätte sehen können.
Als sie gerade durch den Lukenspalt blickte, verwandelte sich der Stern KC97L in eine Nova.
Und Alyc Carey erblindete auf der Stelle.
Die besten Chirurgen des Reichs der Menschheit hatten monatelang versucht, ihr das Augenlicht zurückzugeben.
Ohne Erfolg.
Alyc ging zurück nach Hause, auf Milrod Elf, wo ihr Vater ein Haus auf einem ansonsten unbewohnten Planeten unterhielt. Man stellte ihr eine Dienerin zur Verfügung, eine Submenschenfrau namens Kisha, die von Löwen abstammte. Dann war da noch ein Roboter, Kuevee, der sich um den Garten hinter dem Haus kümmerte, wo Pflanzen und Gewächse aus hundert verschiedenen Sternensystemen in einer paradoxen Harmonie nebeneinander gediehen. Ihr älterer Bruder Matthew besuchte sie gelegentlich von der Erde aus. Ansonsten lebte sie allein. Ihr Vater hielt das für richtig – für sicherer. Alyc meinte, daß er im Unrecht wäre. Wenn sie irgendein Verlangen hatte, dann war es das nach Freiheit. Sie wollte das All, von dem sie wußte, daß es dort draußen existierte, sehen – auch ohne Augen. Als sie neunzehn war, hatte sie ihren Vater endlich davon überzeugen können, sie – wenn auch nur für kurze Zeit – von Milrod Elf fortzulassen. Von Kisha begleitet, buchte sie eine Reise auf dem Linienraumer Oceania, der in neun Monaten achtzehn Planeten anlief.
Doch die Oceania hatte erst einen Teil ihrer Reise beendet, als sie von einer Gruppe von Piraten aufgehalten und geentert wurde. Als die Piraten feststellten, wer Lady Alyc war, nahmen sie sie gefangen. Sie leistete keinen Widerstand. Tatsächlich war sie vom Leben bereits so sehr gelangweilt, daß sie sie sogar dazu ermunterte. Die Piraten waren keine gewöhnlichen Banditen. Einer ihrer Anführer, Phillip Nolan, war ein Mann von edler Geburt, dessen Familie einst die gleiche hohe Stellung im Reich innegehabt hatte, wie es jetzt die Careys taten. Als sie mit den Piraten zu deren Heimatstützpunkt zurückkehrte, zum unsichtbaren Planeten Quicksilver, erfuhr sie, daß sie es eigentlich weniger auf die Piraterie angelegt hatten – sie wollten die Revolution. Ihr Bruder Matthew hatte sich vor kurzem zum Imperator gekrönt. Die Piraten wollten dem eigentlichen Thronfolger, Prince Randow,
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