Lords und Ladies
Oma Wetterwachs’ Geist Oma Wetterwachs’ Körper fest im
Griff hatte.
»Jemand mußte sich darum kümmern«, fügte sie hinzu.
»Warum hast du mich nicht gefragt?«
»Du hättest versucht, es mir auszureden.«
Nanny Ogg beugte sich vor.
»Ist alles in Ordnung mit dir, Esme?«
»Ja, natürlich! Alles bestens! Warum sollte es mir nicht bestensgehen?«
»Hast du geschlafen?« fragte Nanny.
»Nun…«
»Dafür blieb dir keine Zeit, oder? Glaubst du wirklich, du könntest
nach einer anstrengenden, schlaflosen Nacht einfach so hierherkommen
und dem Mädchen einen Denkzettel verpassen?«
»Ich weiß nicht«, erwiderte Oma Wetterwachs.
Nanny Ogg maß sie mit einem durchdringenden Blick.
»Du weißt es wirklich nicht, wie?« fuhr sie etwas sanfter fort. »Na
schön. Setz dich jetzt, damit du nicht umfäl st. Und iß eine Orange. Die
Mädchen müßten gleich hier sein.«
»Nein«, widersprach Oma. »Sie werden sich verspäten.«
»Woher weißt du das?«
»Ein großer Auftritt hat nur dann einen Sinn, wenn man von al en ge-
sehen wird, oder? Das ist Pschikologie.«
Oma behielt recht: Die Mitglieder des jungen Hexenzirkels trafen um
zwanzig nach zwölf ein und blieben auf den Stufen der Marktbühne ste-
hen.
»Sieh sie dir an«, brummte Oma Wetterwachs. »Wieder alle in Schwarz
gekleidet.«
»Das gilt auch für uns«, stellte Nanny Ogg fest.
»Wir tragen schwarze Kleidung, weil sich das so gehört«, sagte Oma
verdrießlich. »Wir verwechseln das nicht mit Romantik und so. Ha! Man
könnte meinen, sie seien bereits zu uns gekommen.«
Nach einigen Blickkontakten schlenderte Nanny Ogg über den Platz,
und von der anderen Seite her kam ihr Perdita entgegen. Das dicke
Make-up konnte nicht über die Besorgnis der jungen Hexe hinwegtäu-
schen. Sie hielt ein Taschentuch aus schwarzer Spitze in den Händen,
drehte es nervös hin und her.
»Guten Morgen, Frau Ogg«, sagte sie.
»Tag, Agnes.«
»Äh. Was passiert jetzt?«
Nanny Ogg nahm die Pfeife aus dem Mund und kratzte sich mit dem
Mundstück am Ohr.
»Keine Ahnung. Ich schätze, es hängt von euch ab.«
»Diamanda möchte wissen, warum es hier und jetzt stattfinden muß?«
»Damit al e zusehen können«, erwiderte Nanny. »Das ist doch der Sinn
der Sache, oder? Nichts Heimliches und Verstecktes. Alle sollen ganz
deutlich erkennen, wer die bessere Hexe ist. Die ganze Stadt. Es darf
nicht den geringsten Zweifel daran geben, wer gewinnt und wer verliert.
Auf diese Weise vermeiden wir weitere Auseinandersetzungen.«
Perdita sah zur Taverne. Oma Wetterwachs war eingedöst.
»Personifizierte Zuversicht«, behauptete Nanny und kreuzte die Finger
hinterm Rücken.
»Äh, was geschieht mit dem Verlierer?« fragte Perdita.
»Nicht viel«, antwortete Nanny. »Die betreffende Person verläßt den
Ort. Man kann keine Hexe für Leute sein, die beobachtet haben, wie
man eine Niederlage erlitten hat.«
»Diamanda meint, sie möchte der Alten nicht weh tun«, sagte Perdita.
»Es geht ihr nur darum, Frau Wetterwachs eine Lektion zu erteilen.«
»Gut. Esme lernt schnell.«
»Äh. Dies alles tut mir sehr leid, Frau Ogg.«
»Fein.«
»Diamanda meinte, Frau Wetterwachs habe einen sehr beeindrucken-
den Blick, Frau Ogg.«
»Ach.«
»Darum dreht sich das Duell – ums Starren.«
»Der alte Wer-zuerst-blinzelt-oder-wegsieht-hat-verloren-Wettstreit?«
»Äh, ja.«
»Na schön.« Nanny dachte darüber nach und zuckte mit den Schultern.
»Aber zunächst sol ten wir einen magischen Kreis formen. Um zu ver-
meiden, daß jemand verletzt wird.«
»Willst du dabei skorhianische Runen oder das Dreifache Beschwö-
rungsoktagramm verwenden?«
Nanny Ogg legte den Kopf schief.
»Davon höre ich jetzt zum erstenmal, Teuerste«, sagte sie. »Ich gehe
bei einem magischen Kreis immer folgendermaßen vor…«
Nanny schob sich krabbenartig von dem dicken Mädchen fort und zog
dabei den Stiefelabsatz durch Sand und Staub. Auf diese Weise hinterließ
sie eine Furche im Boden, die einen knapp fünf Meter durchmessenden
Kreis bildete.
Schließlich kehrte sie zu Perdita zurück.
»Na bitte. Fertig.«
»Das soll ein magischer Kreis sein?«
»Ja. Ohne ihn besteht die Gefahr, daß jemand zu Schaden kommt. Bei
einem Hexenduel kann es zu starken magischen Entladungen kommen.«
»Aber du hast überhaupt keine Zauberformeln gesprochen!«
»Nein?«
»Man muß doch irgendwelche Zauberformeln sprechen, oder?«
»Keine Ahnung. Bisher bin ich immer ohne
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