Lords und Ladies
sie damit anfangen soll. Karten! Ker-
zen! Das ist keine Hexerei, sondern kindischer Zeitvertreib. Mit dem
Okkulten herumzuspielen… Hast du ihre schwarzen Fingernägel gese-
hen?«
»Nun, meine sind ebenfalls nicht sehr sauber…«
»Sie hat sich ihre angemalt.«
»Als ich jung war, habe ich mir roten Nagel ack auf die Zehennägel ge-
strichen«, sagte Nanny wehmütig.
»Bei Zehennägeln sieht die Sache ganz anders aus«, meinte Oma. »Und
das gilt auch für Rot. Außerdem wol test du nur verführerisch wirken.«
»Es hat geklappt.«
»Ha!«
Eine Zeitlang gingen sie schweigend weiter.
»Ich habe viel Kraft gespürt«, murmelte Nanny Ogg nach einer Weile.
»Ja. Ich weiß.«
»Eine Menge.«
»Ja.«
»Ich will keineswegs behaupten, daß du sie nicht schlagen kannst«, sag-
te Nanny Ogg rasch. »So etwas liegt mir fern. Aber ich wäre dazu nicht
imstande, und ich glaube, selbst du mußt dich ziemlich anstrengen, um
eine Niederlage zu vermeiden. Wahrscheinlich bleibt dir nichts anderes
übrig, als ihr weh zu tun.«
»Du hältst es für einen Fehler, daß ich mich auf eine Konfrontation
eingelassen habe, nicht wahr?«
»Nun, ich…«
»Sie hat mich geärgert, Gytha. Ich konnte einfach nicht anders. Jetzt steht mir ein Duell mit einem siebzehnjährigen Mädchen bevor. Wenn
ich gewinne, bin ich eine gemeine alte Hexe. Wenn ich verliere…«
Oma Wetterwachs trat nach einigen verwelkten Blättern.
»Mein Temperament geht immer wieder mit mir durch.«
Nanny Ogg schwieg.
»Schon wegen der kleinsten Sache verliere ich die Beherrschung…«
»Ja, aber…«
»Ich bin noch nicht fertig.«
»Entschuldige, Esme.«
Eine Fledermaus flatterte vorbei. Oma Wetterwachs nickte ihr zu.
»Weißt du, wie Magrat zurechtkommt?« fragte sie in einem Tonfal , der
Beiläufigkeit in ein Korsett zwängte.
»Sie lebt sich gut ein, meint unser Shawn.«
»Freut mich.«
Sie gelangten zu einer Weggabelung, an der weißer Sand im Mond-
schein glänzte. Ein Weg führte nach Lancre, wo Nanny Ogg wohnte.
Der andere ging in den Wald und wurde zu einem schmalen Pfad, der
schließlich an Oma Wetterwachs’ Hütte endete.
»Wann sol ’n wir… zwei… uns wiedersehen?« fragte Nanny Ogg.
»Jetzt hör mal«, brummte Oma. »Magrat kann von Glück sagen, daß sie
keine Hexe mehr ist. Als Königin wird sie bestimmt viel glücklicher!«
»Ich habe doch gar nichts gesagt«, wandte Nanny Ogg ein.
»Ich weiß! Ich habe ganz deutlich gehört, daß du nichts gesagt hast.
Nicht einmal Tote können so laut schweigen wie du!«
»Sehen wir uns gegen elf?«
»Einverstanden!«
Der Wind lebte wieder auf, als Oma über den Weg zur Hütte stapfte.
Sie war gereizt, klar. Es gab einfach zuviel zu tun. Das Problem na-
mens Magrat war gelöst. Nanny konnte sie getrost sich selbst überlassen.
Aber die Herren und Herrinnen… Damit hatte sie nicht gerechnet.
Oma Wetterwachs fühlte sich ganz neuen Belastungen ausgesetzt.
Sie spürte den nahen Tod, und dieser Umstand ging ihr auf die Ner-
ven.
Wer richtig mit Magie umzugehen weiß, hat den Vorteil, den Zeitpunkt
des eigenen Todes zu kennen. Im großen und ganzen ist das tatsächlich
ein Vorteil.
So mancher Zauberer hat kurz vor dem Ableben seinen Weinkel er ge-
leert oder zufälligerweise hohe Schulden hinterlassen.
Oma Wetterwachs hatte sich immer gefragt, was man dabei empfinden
mochte, wenn man so etwas in der nahen Zukunft sah. Wie sich nun
herausstellte, präsentierte sich… Leere.
Viele Leute vergleichen das Leben mit einem Punkt, der von der Ver-
gangenheit in die Zukunft gleitet und dabei eine Art mentalen Kometen-
schweif aus Erinnerungen hinter sich zurückläßt. Doch die Reminiszen-
zen befinden sich nicht nur hinter dem Punkt des Lebens, sondern auch
davor. Die meisten Menschen werden damit nur schlecht fertig und ken-
nen dieses Phänomen nur in Form von Vorahnungen, Intuition und so
weiter. Hexen hingegen sind bestens damit vertraut. Wenn sie Leere dort
wahrnehmen, wo die Ranken der Zukunft wachsen sol ten… Dann sind
sie ebenso beunruhigt wie ein Pilot, der sein Flugzeug aus einer dichten
Wolke steuert und feststel en muß, daß einige Sherpas auf ihn herabse-
hen.
Es blieben Oma Wetterwachs noch einige Tage, und dann war Schluß.
Sie hatte immer gehofft, sich Zeit nehmen zu können: um den Garten in
Ordnung zu bringen und die Hütte aufzuräumen – ihre Nachfolgerin
sol te sie nicht für schlampig halten. Nach der Auswahl einer
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