Loretta Chase
wieder. »Ich habe bis zwanzig
gezählt.«
Während des Frühstücks stritt sich
Bathsheba mit ihm weder über seine Frau noch über sonst etwas. Sie war vollauf
damit beschäftigt, nicht über ihrem Teller einzuschlafen, den er ihr großzügig
mit Eiern und Speck, Kartoffeln, Brot und Butter beladen hatte.
Auf seinem
Teller häufte sich ein noch größerer Berg, den er indes rasch abtrug. Nach dem
Frühstück stolperte sie nach oben in das Zimmer, das er für sie gemietet hatte,
und steuerte geradewegs auf das Bett zu, dessen oberste Matratze sich auf Höhe
ihrer Schulter befand. Irgendwie schaffte sie es, die paar Stufen
hinaufzuklettern, dann sank sie in die wolkenweichen Federn.
Sie kam
erst wieder zu sich, als ein Zimmermädchen zu ihr sprach und die Sonne längst
hell zum Fenster hereinschien. Aus dem Winkel des Lichteinfalls schloss sie,
dass es später Vormittag sein musste.
»Sie hatten
ein Bad bestellt, Ma'am«, sagte das Mädchen. »Sollen wir es jetzt nach
oben bringen?«
Bathsheba
setzte sich auf und sah sich um. Sie hatte schon in vielen Gasthäusern
genächtigt, aber in noch keinem, das so luxuriös gewesen wäre wie dieses.
Entlang der Wand reihten sich ein Waschtisch, eine Kommode und einige
Regalborde. Auf der tiefen Fensterbank stand ein Spiegel, und ein weiterer,
mannshoher Spiegel mit Seitenflügeln stand nahebei. Gegenüber dem Bett befand
sich ein kleiner Tisch, umgeben von Stühlen. Bett und Fenster waren mit
makellos weißen Vorhängen drapiert. Die Betttücher waren sauber und überhaupt
nicht klamm. Im Kamin brannte ein Feuer, das Kälte und Feuchtigkeit der Nacht
und der frühen Morgenstunden vertrieben hatte.
Gleich
würde sie ein Bad nehmen können. Mit heißem Wasser und guter Seife. Inmitten
eines großen, warmen, sonnigen Zimmers würde sie in der Wanne sitzen.
Unerhörter Luxus.
Nicht für
Rathbourne.
»Was gäbe
ich nur für ein Bad«, hatte sie irgendwann während des Frühstücks gesagt –
oder eher gemurmelt, so erschöpft war sie gewesen.
Und er
hatte es Thomas gesagt, und Thomas hatte es jemand anderem gesagt, und niemand
schien das Geringste daran zu finden.
Nun sah sie
zu, wie zwei Diener die Wanne hereintrugen. Ihnen folgte eine kleine Parade
weiterer Dienstboten mit dampfenden Krügen und Eimern.
Kaum dass
sie alle wieder verschwunden waren, verriegelte sie die Tür und riss sich die
Kleider vom Leib.
Nach dem
Frühstück zogen Benedict und Thomas sich in die schmale Dienstbotenkammer
zurück, die an das Gästezimmer grenzte, welches Benedict für »Mr. und Mrs.
Bennett« gemietet hatte. Während Mrs. Wingate in aller Pracht allein auf
drei Matratzen
schlief, machte Benedict auf der schmalen Pritsche ein Nickerchen. Thomas ruhte
neben ihm auf dem Boden.
Irgendwann
später, nachdem er sich hinreichend ausgeruht gefühlt hatte, war Benedict
aufgestanden und hatte in der großen Waschschüssel, die Thomas von nebenan
geborgt hatte, ein erfrischendes, wenn auch etwas beengtes Bad genommen.
Derzeit,
nachdem Thomas sich mit den Kleidern seines Herrn bestmögliche Mühe gegeben
hatte, kümmerte der Lakai sich um die Kutsche. Da dies einige Zeit dauern würde
und auch die Rechnung noch beglichen und die Dienstboten mit Trinkgeldern
bedacht werden wollten, beschloss Benedict, dass Mrs. Wingate frühestens in
einer Viertelstunde geweckt werden müsste.
Gerade
wollte er sich hinsetzen und seine Stiefel anziehen, als er draußen auf dem
Korridor vernehmliches Getuschel hörte.
»Es kann nich'
Lord Rathbourne sein«, sagte eine Männerstimme.
»Die Herrin
hat gesagt, er wär's«, erwiderte eine andere. »Sie hat ihn am
Billettschalter gesehen.«
»Da muss se
geträumt haben.«
»Wie soll
sie denn, wenn sie nie schläft? Sie hat gesagt, er wär's gewesen – leibhaftig,
mit 'nem Diener.«
»Vielleicht
ist er weitergefahren.«
»Nein, ist
er nicht, sagt sie. Sie sagt, er wär hierhergekommen. Und jetzt hat sie mich
hergeschickt, damit ich rausfind', warum er nicht wie sonst im Bear abgestiegen
ist, nich' mal zum Frühstück. Und was ihm denn nicht gepasst hätt', sodass er
jetzt ins Crown geht, wo er und Seine Lordschaft, sein Vater, und die ganze
Sippschaft doch all die Jahre im Bear abgestiegen sind, wenn sie in Reading
war'n?«
Benedict
stieß eine leise Verwünschung aus.
Die Wirtin
des Bear Inn sollte sich Argus nennen, verfügte sie doch definitiv über mehr
als das übliche Maß an Augen.
Er hätte
Reading großräumig umfahren sollen. Hier war er zu gut
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