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Lost Girl. Im Schatten der Anderen

Lost Girl. Im Schatten der Anderen

Titel: Lost Girl. Im Schatten der Anderen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfram Ströle
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vorsichtig ein Fleischmesser heraus. Ich starre sie mit offenem Mund an.
    »Ich tue das nicht gern«, sagt sie. »Ein Messer ist etwas Hässliches. Aber du bist auch in einer hässlichen Lage.«
    »Hat man dich nicht durchsucht, bevor du hier herein durftest?«
    Mina Ma schnaubt. »Nachdem ich sie wüst beschimpft habe? Ich versichere dir, die wollten mich so schnell wie möglich wieder loswerden. Und von Saris verstehen sie sowieso nichts, diese Banausen. Sie sind nicht mal auf die Idee gekommen nachzusehen.«
    Ich bekomme einen Lachanfall, der allerdings sofort wieder vergeht. Lachen passt so überhaupt nicht in dieses Zimmer.
    Mina Ma seufzt. »Das Messer ist für Ophelia gedacht«, sagt sie ein wenig zögernd. »Nein«, fügt sie hinzu, als ich zurückfahre, »so meine ich das nicht. Du sollst sie damit bedrohen. Der Wächter soll denken, du würdest sie erstechen, wenn er dich nicht gehen lässt. Wir können nur hoffen, dass Ophelia merkt, dass du ihr nicht wirklich etwas tun willst. Wir wollen ihr ja keine Angst machen. Obwohl sie es verdient hätte.« Mina Ma klingt böse. »Aber sie hat wohl in gutem Glauben gehandelt. Sie will es immer unbedingt allen recht machen.«
    Ich starre das Messer an und überlege, ob ich wirklich jemanden damit bedrohen kann, jemanden, den ich liebe. Mina Ma hebt mein Kinn an.
    »Du musst tapfer sein, dann wird alles gut. Und jetzt hole ich Ophelia. Ich sage ihr, du wollest sie sprechen.«
    »Warte. Du wusstest also, dass ich hier rauswill? Dass ich nie daran gedacht habe, bei den Meistern zu bleiben?«
    »Du warst zwar fast ein Jahr weg«, sagt Mina Ma scharf, »aber du bist immer noch das Mädchen, das ich großgezogen habe. Und Erik wollte keinen Duckmäuser aus dir machen, das kannst du mir glauben.«
    Ich umarme Mina Ma und drücke sie fest. Ich glaube, ich habe noch nie in meinem Leben eine solche Angst gehabt und war so hilflos, aber ich werde von hier fliehen. Irgendwie komme ich an der Wache vorbei und von hier weg.
    »Danke«, flüstere ich.
    »Nein, ich danke dir«, erwidert Mina Ma. »Dafür, dass du so verrückt warst zu fliehen. Ich weiß nicht, wie ich es ausgehalten hätte, wenn du geblieben wärst und der Schlafbefehl ausgeführt worden wäre.«
    Sie wischt sich über die Augen, marschiert zur Tür und schlägt mit der Faust dagegen.
    »He!«
    Ich unterdrücke ein Grinsen, während Theseus die Tür aufsperrt. Er scheint einen Heidenrespekt vor Mina Ma zu haben und tut mir fast schon leid.
    Als ich wieder allein bin, greife ich nach dem Messer. Kalt und fremd liegt es in meiner Hand.
    Wenn ich nun einen Fehler mache und das Messer mir ausrutscht? Wenn ich Ophelia verletze? Der Magen zieht sich mir zusammen und ich unterdrücke meine Angst. Ich muss jetzt handeln, sonst wird das nichts mit meiner Flucht.
    Kaum zwanzig Minuten können vergangen sein, da höre ich den Schlüssel wieder im Schloss. Mir kommt es vor wie eine Ewigkeit. Ich werde mit jeder Minute nervöser.
    Als die Tür aufgeht, beginnt mein Herz zu rasen. Viel zu schnell und zu laut.
    »Ich warte unten an der Treppe zum Turm auf dich«, höre ich Mina Ma sagen, so als spreche sie mit Ophelia, aber ich weiß, dass sie es zu mir sagt.
    »Eva?« Ophelia sieht mich zögernd und hoffnungsvoll an.
    Ich gebe fast auf. Ihr Blick. Sie jetzt mit einem Messer zu bedrohen kommt mir so gemein vor. Dann denke ich daran, dass ich ohne sie nicht hier wäre, und das Herzklopfen wird zu einem Dröhnen, das fast alles übertönt. Ich höre eilige Schritte. Mina Ma verschwindet die Treppe hinunter. Ich trete rasch vor und drücke mit meiner zitternden Hand das Messer mit der stumpfen Seite an Ophelias Rippen.
    »Entschuldigung«, flüstere ich. Hoffentlich glaubt sie mir und versteht, warum ich das tue. Hoffentlich mache ich keinen Fehler.
    Der Wächter weicht erschrocken zurück und reißt die blauen Augen auf. »Woher hast du das Messer?«
    »Du hast mich bei meiner Festnahme nicht richtig durchsucht. Das war ein Fehler.« Meine Stimme klingt erstaunlich ruhig. Ich klammere mich an diesen Klang, diese Ruhe. »Du solltest jetzt die Treppe freigeben. Ich lasse Ophelia nämlich erst los, wenn ich unten bin. Ihr wird nichts passieren, solange du keine Dummheiten machst.«
    »Eva, ich bitte dich …«
    »Sei still«, falle ich Ophelia ins Wort und zum ersten Mal zittert meine Stimme ein wenig. »Mach es mir nicht noch schwerer.«
    Vorsichtig nähere ich mich der Treppe. Mit der einen Hand habe ich Ophelia am Arm gepackt,

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