Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Lost Girl. Im Schatten der Anderen

Lost Girl. Im Schatten der Anderen

Titel: Lost Girl. Im Schatten der Anderen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfram Ströle
Vom Netzwerk:
meinetwegen hier. In dieser beschissenen Situation. Vergiss bitte, dass ich ›beschissen‹ gesagt habe. Und du bist auch wegen Ray hier, weil er zu schnell gefahren ist. Wir haben dir einen Körper und jede Menge Anweisungen gegeben, dich in etwas Fremdes, Andersartiges gesteckt.« Mein Gott, spricht sie eigentlich von Amarra oder mir? »Wer sich auf so engem Raum bewegt, muss früher oder später irgendwo anecken.«
    Sie küsst mich auf den Kopf und geht an mir vorbei die Treppe hinunter.
    Ich setze mich auf die oberste Stufe und schlinge die Arme um die Knie. Ich habe Mist gebaut, aber vielleicht musste es früher oder später so kommen. Ray war sich nie ganz sicher, wer ich bin. Amarra muss ihm gesagt haben, dass sie ein Echo hat. Er wusste, dass es mich gibt. Aber wenn er das in der Schule erzählt, geht bestimmt einer zur Polizei. Wenn ich doch wüsste, wie ich uns schützen kann. Wie kann ich Nikhil und Sasha vor einem weiteren Verlust bewahren?
    Kann jemand beweisen, dass ich ein Echo bin? Ich weiß nicht, ob man das Mal durch eine Laserbehandlung entfernen könnte, aber wenn man die Stelle aus der Haut herausschneidet, wäre es auf jeden Fall weg. Die Vorstellung ist so abartig und schrecklich, dass ich fast lachen muss, aber wenn ich das Mal durch eine Wunde ersetzen würde – vielleicht eine Narbe vom Unfall, die noch nicht verheilt ist – und Amarras alte Narben noch irgendwie rechtzeitig nachbilde, kann vielleicht wirklich niemand mehr beweisen, dass ich nicht sie bin. Oder vielleicht doch. Ich weiß es nicht. Ich weiß nicht, was die Meister und meine Nenneltern für einen solchen Fall vereinbart haben.
    Meine Gedanken überschlagen sich in Panik. Nur weil ich weiß, dass Sasha unten sitzt und ich nach ihr sehen soll, stehe ich schließlich auf und gehe hinunter. Ich setze mich neben Sasha aufs Sofa und warte auf Alishas Rückkehr.
    Sie kommt erst nach gut zwei Stunden wieder und geht in die Küche, um mit Neil zu sprechen. Ich folge ihr hastig. Zwar weiß ich nicht, ob Neil mich jetzt sehen will, aber ich muss einfach wissen, was Alisha erreicht hat.
    »Er war wütend«, sagt sie zu Neil, »und verletzt. Er wollte mir nicht glauben. Wir beide hätten nicht das Recht, die Wahrheit für uns zu behalten, wir seien nicht die Einzigen, die Amarra geliebt haben. Und er wollte nicht versprechen, dass er den anderen aus der Klasse nichts sagt. Er findet, sie sollten es wissen.« Neil und ich sehen Alisha erschrocken an und sie fügt rasch hinzu: »Aber er will nicht zur Polizei gehen. Er scheint zu begreifen, dass ich mir vor allem um die Kinder Sorgen mache.«
    Sie lächelt und ich fühle mich unwillkürlich ebenfalls erleichtert. Wenigstens werden Nikhil und Sasha nicht für meinen Fehler büßen müssen, egal was in der Schule passiert.
    Doch dann sagt Neil: »Woher wissen wir, dass nicht jemand anders zur Polizei geht, wenn Ray mit Amarras Freundinnen spricht?«
    »Er scheint davon auszugehen, dass sie den Mund halten werden.« Alisha klingt müde. »Schon aus Respekt vor Amarras Andenken und aus Sorge um zwei unschuldige Kinder.« Sie wendet sich an mich. »Ich habe versucht, ihn davon zu überzeugen, dass du es bist, aber er wollte mir nicht glauben. Ich mache mir Sorgen, wie deine Freundinnen dich behandeln werden, wenn sie auch anfangen, an dir zu zweifeln.«
    »Damit komme ich schon zurecht«, sage ich und lächle so überzeugend, wie ich nur kann. »Wirklich, es wird schon gehen. Solange niemand zur Polizei geht, ist alles gut.«
    Ich begegne Neils Blick und sehe ihm an, dass er meine Lüge durchschaut. Er weiß, dass meine Freundinnen mir nie verzeihen werden, wenn Ray ihnen alles erzählt.
    »Du musst nicht wieder zur Schule gehen«, schlägt er vor. Das ist lieb von ihm und mehr, als ich in diesem Augenblick verdiene, aber ich schüttle den Kopf. Nicht mehr zur Schule zu gehen, würde ihn nur in seinem Glauben bestärken, dass ich nichts mit seiner Tochter gemein habe. Es würde auch Alishas Glauben erschüttern. Es würde niemandem helfen.
    »Sie sind meine Freundinnen«, sage ich, wie man es von mir erwartet und damit vielleicht sogar Neil mir glaubt, füge ich hinzu: »Ich will sie doch sehen. Sie sind mir wichtig.«
    Schweigend sehen wir einander an. Alisha hat sich als Erste wieder gefasst.
    »Es ist Zeit fürs Abendessen«, sagt sie entschieden. »Warum machen wir nicht Sasha eine Freude und holen uns vom Club malayisches Hühnchen?«
    Den Abend und das restliche Wochenende über

Weitere Kostenlose Bücher